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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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her.
    »Ach, hallo, Jamie. Tja, wir wissen es noch nicht genau. Wir werden jedenfalls auch weiterhin eine wichtige Rolle in eurem Leben spielen. Die Frage ist nur, ob zusammen oder getrennt.«
    »Können wir noch was zu knabbern haben?«
    »Das ist ja wohl die Höhe! Da habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Dillies Auftritt verpasst habe und Mum nicht bei uns ist, und ihr nutzt diese Schwäche schamlos aus, um euch mit Junkfood vollzustopfen, und das auch noch nach dem Zähneputzen. Na schön … im Küchenschrank ist eine große Tüte Käse-Zwiebel-Chips.«
    Am nächsten Morgen schickte ich die Kinder in die Schule und meldete mich krank. Immer wenn das Telefon klingelte, stürzte ich zum Apparat und schnappte keuchend nach Luft, während ich dem Versicherungsverkäufer aus Bangalore zu erklären versuchte, dass mich sein Angebot nicht interessierte. Am selben Abend sprang ich aus dem Bett, als ich draußen ein Taxi vorfahren hörte, nur um mit ansehen zu müssen, wie der Anonyme Halstuchträger und seine Gattin zu ihrer Haustür wankten. Ich hätte mir inzwischen wirklich mal die Mühe machen können, seinen Namen zu eruieren. Zwei Tage wartete ich auf eine Nachricht von Maddy. Ich hatte ihr in einer langen E-Mail sämtliche Gründe aufgelistet, weshalb wir meiner Meinung nach zusammenbleiben sollten, aber seitdem nichts von ihr gehört. Ich wagte es nicht, das Haus zu verlassen, aus Angst, dass sie unangemeldet vorbeischauen könnte, und der Hund bekam allmählich einen Koller und starrte kläffend die Haustür an.
    Ihre Antwort erreichte mich schließlich auf dem einzigen Weg, an den ich nicht gedacht hatte: per Post. Als am dritten Tag ein einsamer Brief mit der Schriftseite nach oben auf der Fußmatte landete, befürchtete ich das Schlimmste. Ein an mich adressiertes Schreiben von ihrem Anwalt: Das konnte nur die offizielle Aufforderung sein, mich an die Scheidungsvereinbarung zu halten und das Haus zu räumen.
    Mein Blick fiel auf die Schuhe und Mäntel im Flur. Einer von Maddys Mänteln hing noch an der Garderobe, und Jamie und Dillies Schuhe standen ordentlich aufgereiht neben denen ihrer Mutter. Im Treppenhaus hingen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos von den Kindern: Jamie, der seine Schwester an ihrem ersten Schultag an der Hand durchs Gartentor führte; die beiden ein paar Jahre später am Strand, windzerzaust und salzverkrustet; und Maddy, die auf jedem Arm ein Baby trug und unschuldig in die Kamera lachte, ohne zu ahnen, dass sie mit den Kindern eines Tages allein sein würde. Der unbändige Optimismus dieses Bildes wirkte aus heutiger Sicht geradezu absurd. Ich beschwor Erinnerungen herauf: Maddy und ich, wie wir lachend in einem Ruderboot saßen; Maddy, die unser Kind in den Schlaf wiegte; Maddy, wie sie mir durch das Fenster eines National-Express-Busses aufgeregt zuwinkte, als sie aus den Semesterferien nach London zurückkehrte, wo ich sie sehnsüchtig erwartete.
    Ich konnte mich nicht recht entscheiden, wo ich diese emotionale Briefbombe öffnen sollte. Ich nahm sie mit in die Küche, mochte sie dort aber dann doch nicht lesen. Ich wanderte ins Wohnzimmer und wieder zurück in den Flur. Ich hielt den Umschlag ans Licht, aber das Papier war so dick, dass man nicht hindurchsehen konnte. Und schließlich riss ich ihn auf und stellte mich todesmutig meinem Schicksal.
    Es war kein Brief von ihrem Anwalt. Nur eine schmuddelige grüne Postkarte mit dem Bild eines bierseligen Kobolds, der mir »einen schönen guten Morgen« wünschte.

25. KAPITEL
    »Sie ist wunderschön, ein echtes Prachtweib«, sagte ich und betrachtete das Neugeborene in Maddys Armen, vielleicht aber auch Maddy, so genau mochte ich mich da nicht festlegen.
    »Willst du sie auch mal halten, Vaughan?«, fragte Linda von ihrem Krankenbett aus, und mit einem wehmütigen Lächeln reichte Maddy das Baby ihrem Lebensgefährten.
    Dillie zog ihr Handy aus der Tasche. »Darf ich sie damit fotografieren?« Linda hatte nichts dagegen.
    »Möchtest du auch ein Foto machen, Jamie?« Mein Sohn fummelte hektisch an seinem Telefon herum.
    »Was?«
    »Ob du ein Foto von Garys und Lindas Baby machen möchtest?«
    »Jetzt nicht. Ich spiele gerade Angry Birds.«
    In ihrem Geburtsplan hatte Linda sich ausdrücklich eine traditionelle Entbindung gewünscht, was Gary zum Anlass genommen hatte, es wie ein Ehemann aus den Fünfzigerjahren zu machen und den gesamten Abend im Pub zu verbringen. Er war in allerletzter Minute hier eingetroffen, nachdem er einen
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