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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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Terrasse, während es langsam zu dämmern begann. Da wir den Kindern verboten hatten, sich auch noch die x-te Wiederholung der immergleichen Friends -Folgen anzusehen, schauten sie sich jetzt die Friends -Outtakes auf YouTube an. Der Garten stand in voller Pracht und Blüte und strotzte regelrecht vor wunderschönen Blumen, die Jamie mit dem Fußball zu Klump geschossen hatte. Der Rasen erstrahlte in sattem, einheitlichem Braun, da es den Kindern und dem Hund erfolgreich gelungen war, auch noch den letzten Grashalm zu zertrampeln. Grüngefiederte Sittiche flatterten über den Dächern und kreischten vor Schreck, als ihnen klar wurde, dass sie irgendwie in Südlondon gelandet waren.
    »Gary hat Linda und das Baby heute nach Hause geholt.«
    »Himmel! Ich bin gespannt, ob ihre Ehe die damit verbundenen Belastungen übersteht.«
    »Ach, die beiden kriegen das schon hin«, meinte Maddy. »Gary hat wahrscheinlich schon eine spezielle App dafür auf seinem iPhone.«
    »Ha! So was hätte ich auch gut gebrauchen können. Eine Art Lebens-Navi, das mir zeigt, wo’s langgeht …«
    »Das Geheimnis besteht darin, etwas zu finden, das dich wirklich glücklich macht. Und dann jeden Abend ein paar Gläschen davon zu trinken.« Sie nahm einen Schluck, der sie sichtlich entspannte.
    »Das muss ich meinen Elftklässlern sagen.«
    »Deine Arbeit scheint dir viel mehr Spaß zu machen als früher.«
    »Ja, wir hatten heute eine sehr interessante Diskussion. Über das Wesen der Geschichte. Eigentlich fast schon existenziell. Sie wollen genau wissen, was wirklich passiert ist.«
    »Das können andere vielleicht besser beurteilen als du …«
    »Wohl wahr. Aber erst wenn man seiner kompletten Vergangenheit verlustig gegangen ist, merkt man, wie sehr einem all das den Blick verstellen kann. Länder ziehen wegen verzerrter Darstellungen der Geschichte in den Krieg; Paare lassen sich scheiden aus wachsender Verbitterung über Dinge, die ganz anders verlaufen sind als in ihrer Erinnerung.«
    »So also will Vaughan der schwindelerregenden Scheidungsrate zu Leibe rücken? Chronische Amnesie für alle, bis keiner mehr weiß, mit wem er im Bett liegt?«
    »Wieso Amnesie? Eine Swinger-Website tut’s doch auch. Nein, damit will ich sagen, du hast deine Erinnerungen, ich habe meine Erinnerungen Gott sei Dank zurück, und das sollten wir gegenseitig respektieren.«
    »Du entsinnst dich wahrscheinlich noch immer nicht an dein Versprechen, bis ans Ende unserer Ehe die Bügelwäsche zu erledigen …«
    »Nein, komischerweise nicht. Ich erinnere mich allerdings genau, dass du nichts dagegen hattest, wenn ich uns einfach ein Curry vom Inder kommen lasse, statt mich selber an den Herd zu stellen.«
    »Nein, diese Erinnerung ist eindeutig falsch.«
    »Mist!«
    »Hähnchen-Korma, bitte.«
    Sie wollte Wein in mein leeres Wasserglas gießen, aber ich kam ihr zuvor und hielt die Hand darüber.
    »Ich trinke nicht mehr – schon vergessen?«
    »Ach ja – entschuldige. Die Macht der Gewohnheit.« Doch die Flasche stieß irgendwie gegen meine Finger, und das Glas fiel zu Boden und zerbrach.
    »Scheiße! Tut mir leid.«
    »Nein, du kannst nichts dafür.«
    »Doch, meine Schuld …«
    »Nein, im Ernst …«
    Wir lachten über uns, und ich hob die Glasscherben auf.
    »Wart’s ab, in ein paar Monaten werde ich mich genau erinnern, dass die Schuld eindeutig bei dir lag.«
    »In zehn Jahren werde ich sagen, du hättest das Glas vor Wut nach mir geworfen.«
    Dillie, vor dem Computer, hatte einen Lachanfall, der bis auf die Terrasse zu hören war.
    »Zehn Jahre! Meinst du, wir sind in zehn Jahren noch zusammen?«
    »Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.« Sie legte die nackten Füße in meinen Schoß. »Wer weiß, was die Vergangenheit für uns bereithält?«
    Eine aparte Achtzehnjährige betritt die Kneipe des Studentenwohnheims.
    Ich habe noch nie eine so wunderschöne, charismatische junge Frau gesehen, und kaum hat sie sich gesetzt, lasse ich mich auch schon auf einem freien Platz in ihrer Nähe nieder und hoffe inständig, dass sie den Erstsemesterstudenten bemerkt, der ihr praktisch direkt vor der Nase sitzt. Ich hole mein frisch erstandenes Geschichtslehrbuch aus der Plastiktüte der Buchhandlung, und um Eindruck zu schinden, schlage ich nicht etwa die erste Seite, sondern das letzte Kapitel auf. Die Buchstaben verschwimmen mir vor den Augen, weil ich geradezu zwanghaft alle paar Sekunden zu ihr hinübersehe, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Ziemlich
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