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0410 - Tödliche Perücken

0410 - Tödliche Perücken

Titel: 0410 - Tödliche Perücken
Autoren: Jason Dark
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Obwohl genügend Plätze frei waren, hatte sich die Kleine nicht gesetzt. Sie lehnte lässig an einer der metallisch glänzenden Haltestangen und kaute unablässig auf einem Kaugummi. Das Schütteln und Rütteln des Wagens balancierte sie geschickt aus, ohne dabei die Beine zu bewegen.
    Grady hatte gesessen, und er saß auch noch, als er sich vornahm, die Kleine anzumachen…
    Was ihn an dieser Braut so faszinierte, konnte er nicht genau sagen. Vielleicht war es die Haarfarbe. Einmal ein bräunliches Rot, zum anderen ein giftiges Grün. Beide Farben standen in einem scharfen Kontrast zueinander.
    Auch die Kleidung fiel aus dem Rahmen. Das Girl trug einen Winterrock, dessen Blumenmuster wohl einen Hauch von Sommer zaubern sollte. Die karierte Jacke war vielleicht zu dünn bei dieser Kälte, aber das war nicht Gradys Problem. Wenn die Kleine fror, würde er sie schon wärmen.
    Hoffentlich stieg sie nicht schon an der nächsten Station aus.
    Sobald die Bahn wieder anfuhr, wollte Grady sie anmachen.
    Der Zug raste durch den Schlund.
    Alles war normal. Das flackernde Licht, das Rattern, das Schaukeln, der Geruch nach Feuchtigkeit, Schweiß und Rauch. Der Schmutz auf dem Boden, die vergessenen Zeitungen in den Ablagen, die Coladose, die im stetigen Rhythmus von einer Richtung in die andere rollte, bevor der Weg sie wieder zurückführte, das alles war auch bei anderen Fahrten zu sehen, zu hören und zu riechen.
    Aber da war diese Frau.
    Ches Grady schluckte, bevor er die Lippen anfeuchtete. Die Kleine hatte noch nichts bemerkt. Sie nahm von seinen Blicken überhaupt keine Notiz.
    Das sollte sich ändern!
    Die lange Schlange schaukelte weiter. Wie gespenstische Wesen huschten an der Scheibenreihe die schwachen Lichter der Tunnelbeleuchtung vorbei.
    Ein Gegenzug kam.
    Zischend wurde die Luft zwischen den beiden Zügen zusammengedrückt. Die erleuchteten Fenster bildeten eine flirrende Lichterkette, die innerhalb einer kurzen Zeit vorbeigehuscht war.
    Kein Gesicht war zu sehen gewesen.
    Dann wurde der Bremsvorgang eingeleitet. Wände erschienen.
    Schmutzig gelbe Kacheln, manchmal mit Plakaten überdeckt und »verschönert« durch Graffiti-Malereien.
    Stieg sie aus?
    Es war die Sekunde der Wahrheit. Grady kannte die Bewegungen der Fahrgäste, wenn sie aussteigen wollten. So verschieden die Menschen auch waren, sie reagierten stets gleich, wenn der Zug in eine Station einfuhr und jeder der Erste an der Tür sein wollte.
    Da ging durch ihre Körper ein Ruck. Nicht so bei dem Mädchen, sie blieb stehen. Nur einmal hob sie träge den Kopf, und die Haare gerieten ebenso träge in Bewegung, als wären sie aus dem Schlaf erwacht.
    Grady bekam feuchte Hände. Er fluchte über sich selbst. Sogar eine innere Stimme riet ihm, auszusteigen, aber er blieb. Er musste einfach bleiben. Eine solche Chance durfte er sich nicht entgehen lassen! Diese Braut musste er haben.
    Den hellerleuchteten Bahnhof empfand Ches als nahezu schmerzlich. Er wartete darauf, dass der Zug wieder abfuhr und auch niemand in seinen Wagen einstieg.
    Ein Mann schritt an der Fensterscheibe vorbei und schaute in den Wagen. Er wirkte wie ein Büroangestellter, war blass, trug einen Hut, und Ches hob einmal kurz die Faust an, als der Knabe zu intensiv durch das Fenster glotzte.
    Der Mann verstand.
    Hastig und wie ein ertappter Sünder zog er sich zurück. Sein Ziel war der nächste Wagen.
    Noch standen die Türen offen. Von der Station her drang der Geruch von Fish und Chips herein.
    Eine Horde Punks lungerte auf den Stufen des Aufgangs herum.
    Sie ließen die Flasche und den Joint kreisen. Dabei lauschten sie Hardrockklängen, die aus den Boxen eines Transistors dröhnten.
    Dann gingen die Türen zu.
    Und niemand hatte den Wagen betreten.
    Bis Brent, der nächsten Station, hatte Ches Zeit. In den folgenden Minuten hatte er seinen Auftritt.
    Noch bevor sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, stand er auf.
    Schon beim ersten Ruck hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Mit einem raschen Griff fing er sich an der Haltestange und ging los.
    Auf seinen Handflächen lag Schweiß. Das war ihm noch nie passiert. Als sträubte sich sein Körper gegen diesen Plan.
    Ches hörte nicht auf diese Warnung.
    Er ging weiter.
    Schritt für Schritt näherte er sich seinem Ziel. Dabei hatte er vergessen, wo er sich befand. Der Wagen kam ihm auf einmal nicht mehr so schmutzig vor, auch der Geruch interessierte ihn nicht. Er glaubte sich auf einer abgeschiedenen Insel im fernen
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