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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Autoren: Jack Vance
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I
    Vishbume, der Lehrling des jüngst verstorbenen Hippolito, bewarb sich bei dem Zauberer Tamurello um eine ähnliche Position, wurde jedoch abgewiesen. Da bot Vishbume einen Kasten mit Gegenständen zum Verkauf, die er aus Hippolitos Haus mitgenommen hatte. Tamurello warf einen Blick in den Kasten, sah genug, um sein Interesse erwachen zu lassen, und zahlte Vishbume den verlangten Preis.
    Unter den Dingen in dem Kasten befanden sich Fragmente eines alten Manuskripts. Als die Kunde von dieser Transaktion zufällig der Hexe Desmëi zu Ohren kam, fragte sie sich, ob diese Fragmente nicht womöglich die Lücken in einem Manuskript füllen möchten, das sie seit geraumer Zeit zu restaurieren suchte. Ohne zu säumen, verfügte sie sich in Tamurellos Haus Faroli im Wald von Tantrevalles und bat dort um die Erlaubnis, die Fragmente zu besichtigen.
    Mit gebotener Höflichkeit legte Tamurello ihr die Fragmente vor.
    »Sind das die fehlenden Stücke?«
    Desmëi begutachtete die Fragmente. »Sie sind es fürwahr!«
    »In diesem Fall sind sie nun dein«, sagte Tamurello. »Nimm sie mit meinen besten Empfehlungen entgegen.«
    »Dafür bin ich dir überaus dankbar«, sagte Desmëi. Sie barg die Blätter in einer Mappe und musterte Tamurello dabei aus den Augenwinkeln. »Es ist eigentlich sonderbar, daß wir einander noch nicht begegnet sind.«
    Tamurello pflichtete ihr lächelnd bei. »Lang und breit ist die Welt. Neue Erlebnisse harren unser allenthalben, meistenteils zu unserer Freude.« Er neigte den Kopf unverkennbar galant vor seinem weiblichen Gast.
    »Wohlgesprochen, Tamurello!« sagte Desmëi. »Wahrlich, du bist höchst freundlich!«
    »Nur wenn die Umstände es rechtfertigen. Möchtest du eine Erfrischung? Hier ist ein milder Wein, gekeltert aus der Alhadra-Traube.«
    Für eine Weile saßen die beiden beieinander und sprachen über sich und ihre Konzepte. Desmëi fand, Tamurello sei anregend und strotze von Vitalität, und so beschloß sie, ihn zu ihrem Liebhaber zu machen.
    Tamurello, der stets auf Neues erpicht war, bereitete ihr keine Schwierigkeiten und paarte ihre Energie mit der seinen, und einen Sommer lang ging alles gut. Mit der Zeit jedoch gewann Tamurello das Empfinden, Desmëi ermangele es in entnervendem Maße an Leichtigkeit und Anmut. Er zeigte sich launisch, was Desmëi Anlaß zu tiefer Besorgnis bot. Zunächst zog sie es vor, seine schwindende Glut als Neckerei eines Verliebten zu deuten: als Unart, sozusagen, des verzärtelten Lieblings. Sie drängte sich in seine Aufmerksamkeit, suchte ihn mit einem koketten Kunstgriff zu locken, dann mit einem weiteren.
    Tamurello zeigte sich immer weniger zugänglich. Desmëi saß stundenlang bei ihm und analysierte ihre Beziehung in allen ihren Phasen, derweil Tamurello Wein trank und mürrisch durch die Bäume in die Ferne starrte.
    Nicht mit Seufzern noch mit zärtlichen Reden, so mußte Desmëi feststellen, ließ Tamurello sich rühren. Sie fand heraus, daß er gegen Schmeicheleien gleichermaßen unempfindlich war, und Vorwürfe schienen ihn nur zu langweilen. Schließlich erzählte Desmëi in scherzhaftem Ton von einem früheren Geliebten, der ihr Schmerz bereitet habe, und andeutungsweise sprach sie von den Mißgeschicken, die ihm hernach das Leben zur Plage hatten werden lassen. Nun endlich sah sie, daß sie Tamurellos Aufmerksamkeit geweckt hatte, und sie wandte sich fröhlicheren Gegenständen zu.
    Tamurello ließ sein Verhalten von der Klugheit bestimmen, und so hatte Desmëi neuerdings keinen Grund zur Klage.
    Nach einem hektischen Monat indes mußte Tamurello feststellen, daß er seine glasigen Blicks zur Schau getragene Inbrunst nicht länger würde aufrechterhalten können. Von neuem mied er Desmëi, doch nun, da sie die Kräfte, die sein Verhalten bestimmten, kennengelernt hatte, brachte sie ihn mit Schärfe zur Räson.
    Vollends verzweifelt, beschwor Tamurello einen Zauber des Überdrusses auf Desmëi herab, dessen Wirkung so still, mählich und unauffällig vonstatten ging, daß sie gar nichts davon bemerkte. Sie ward der Welt müde, müde auch ihrer schmutzigen Eitelkeiten, des fruchtlosen Ehrgeizes und der sinnlosen Vergnügungen; aber so stark war ihre Persönlichkeit, daß sie nie auf den Gedanken kam, eine Veränderung in sich selbst zu argwöhnen. Von Tamurellos Standpunkt aus betrachtet, war der Zauber ein Erfolg.
    Eine Zeitlang strich Desmëi, in düstere Betrachtung versunken, durch die windigen Hallen ihres Palastes am Strande bei Ys;
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