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Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Titel: Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
Autoren: Urs Bigler
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Kapitel 1
Pater Clemens
    März anno domini 1578
     
     
    Der Abt schob den Knaben sachte vor sich her und trat über die Schwelle. Es war dies ein kleiner Schritt in eine andere Welt, ein Schritt von der abendlichen feuchten Frühlingsluft in den mit Kräuterdüften und allerlei zauberischen Dünsten gesättigten Brodem des Alchimistenreichs.
    Er schlug das Kreuz auf der Brust, ging zum Athanor und weckte das schwelende Feuer. Dann nahm er das Kind bei der Hand, setzte sich auf einen klobigen Stuhl und versuchte, seinen steifen Rücken und die vom langen Marsch geplagten Gelenke in eine erträgliche Ruhelage zu bringen.
    «Das ist das Haus, von dem ich dir erzählt habe!»
    Und nach einer kurzen Pause:
    «Die junge Herrschaft kommt bald, es dunkelt ja schon.»
    Der Knabe sagte nichts, er schien seine Zunge verloren zu haben, mit leerem Blick stand er neben ihm und hielt seine Hand, nicht mit besonders viel Spannkraft, aber auch ohne Anstalten zu machen, sie ihm zu entziehen.
    Der Abt verbat sich einen Seufzer und sah ihm in die vom zerzausten Lockengewirr beinahe verdeckten Augen.
    Widerspenstigkeit, Widerborstigkeit hatte der Prior dieses Schweigen genannt.
    Wie nur kam man dazu, so etwas zu behaupten?
    Dieses Schweigen durfte einen doch nicht stören!
    Hatte denn dieser Prior kein Mitgefühl, keinen Sinn fürs Ebenmaß, das nur selten in einem Gesicht zu finden war?
    Ein kurzer Schmerz im Rücken zwang ihn, eine andere Position einzunehmen. Er ließ die kleine Hand los, rückte auf dem Stuhl hin und her und zog den Knaben wieder zu sich heran.
    «Entschuldige, aber ich bin nicht mehr der Jüngste!»
    Wie erwartet, erhielt er auch auf diese Bemerkung keine Antwort, er wurde nur mit dem eigentümlich verlorenen Blick bedacht, der ihm auch jetzt wieder nach dem Herzen griff, wie er es vor wenigen Tagen schon getan hatte, als der Knabe in seine Abtstube geführt worden war.
    Ob seine Sympathie am Ende göttliche Vorsehung war?
    Warum schloss er die einen sofort ins Herz, andere nie?
    Er betrachtete eine Weile seinen Schützling und versuchte sich eine Antwort zu geben.
    Schließlich gab er es auf.
    Er wusste es.
    Er würde keine Antwort finden, Gott in seiner Allmacht bliebe sie ihm schuldig, wie Er in anderen Lebensbereichen auch mit Antworten geizte. Gottes Welt war verschlüsselt und versiegelt, schlimmer noch, sie war verworrener als das Labyrinth des Minotaurus. Dafür legte das Durcheinander in dieser Forschungsstätte unmissverständlich Zeugnis ab!
    Überall lag das Alchimistenwerkzeug herum, gebraucht und ungeputzt, als trostlose Überreste einer Belagerung, die wie unzählige davor im Sand verlaufen war, nachdem sich die göttliche Feste einmal mehr als unbezwingbar erwiesen und entschieden hatte, weiterhin jedem Angriff zu trotzen und das Licht, den Lebenstraum eines jeden Alchimisten, unerbittlich in ihren Mauern eingeschlossen zu halten.
    «Diese Wendungen des Schicksals», brummte er, «als Schweinehirte Balken für eine Blockhütte aufeinander schichteten, wussten sie nicht, dass ihr Werk dereinst einem menschenmüden Abt, einem störrischen Prinzen und» – er wurde leiser – «einem jungen Weib Unterschlupf gewähren würden.»
    Er wollte noch etwas beifügen, da zeigte ihm der Druck an seiner Seite, dass der Knabe im Stehen eingeschlafen war.
    Ein wenig verwundert über diesen Schlafanfall, musterte er seinen Schützling, hob ihn behutsam auf die Knie und strich ihm übers Haar.
    «Sie kümmert dich nicht, die Genesis von Waldhäusern!»
    Er runzelte leicht die Stirn und sah versonnen zum Gestell, wo allerlei Gläser, Phiolen, Kolben und Retorten standen. Und während er langsam seinen Blick über das alchimistische Werkzeug gleiten ließ, fiel ihm plötzlich ein weißes Röhrchen auf, das, wie er glaubte, letztes Mal noch nicht dort gehangen hatte.
    Die Augen zusammengekniffen, versuchte er das Letzte aus seiner Sehkraft herauszuholen und starrte durch die Düsterkeit hin zu dieser merkwürdigen Erscheinung, bis er sich sicher war – dort klebte eine Larvenhülle, in der unfertiges Leben seine Vervollkommnung abwartete.
    Langsam strich er sich über die Oberlippe, dachte über die Kleinstlebewesen nach, die in wenigen Wochen wieder in Massen aus allen Löchern kriechen würden, und fand, dass er sich ähnlich verhalten und als Insekt auch an einem solchen Plätzchen verpuppen würde. Denn dieser Ort, die rußigen, schwarzen Balken, vermittelten Geborgenheit, gefräßige Räuber kamen da nicht
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