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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Autoren: Jack Vance
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endlich beschloß sie, die Welt ihren eigenen melancholischen Entwürfen zu überlassen. Sie bereitete sich auf den Tod vor, und von ihrer Terrasse aus schaute sie ein letztes Mal zu, wie die Sonne unterging.
    Um Mitternacht sandte sie eine Blase der Bedeutung über die Berge nach Faroli, aber als der Morgen graute, war keine Antwort eingetroffen.
    Desmëi grübelte eine volle Stunde lang, und endlich kam es ihr in den Sinn, sich zu fragen, woher die Niedergeschlagenheit rühren mochte, die sie in solche Not gebracht hatte.
    Ihr Entschluß war unwiderruflich. Aber in ihrer letzten Stunde tummelte sie sich noch einmal und wirkte ein Gefüge wunderbarer Formeln, wie man es noch nie zuvor gesehen.
    Die Beweggründe für dieses letzte Unterfangen waren unergründlich damals und für alle Zeit, denn ihr Denken war inzwischen verschwommen und geisterhaft geworden. Gewiß fühlte sie sich verraten und verbittert, und ohne Zweifel empfand sie auch ein gewisses Maß an Trotz; überdies aber schien auch reine Schöpferkraft sie voranzutreiben. Wie auch immer – sie schuf ein Paar unvergleichlicher Gegenstände, vielleicht in der Hoffnung, daß man sie als die Projektion ihres eigenen Ideal-Ichs annehmen und daß die Schönheit dieser beiden Gegenstände und ihre Symbolik womöglich Tamurello heimsuchen werde.
    Im Licht der weiteren Umstände muß man ihren Erfolg in dieser Hinsicht als beeinträchtigt ansehen; der Triumph, könnte man dieses Wort benutzen, war eher auf seiten Tamurellos.
    Um das Angestrebte zu erreichen, bediente Desmëi sich vielfältigen Materials: Sie nahm Salz aus dem Meer, Staub vom Gipfel des Berges Khambaste in Äthiopien, Dünste und Pasten, aber auch Elemente ihrer eigenen Substanz. Und so schuf sie ein Paar wundervoller Wesen: Exemplare, die alle Tugenden und Schönheiten verkörperten. Die Frau war Melancthe, der Mann war Faude Carfilhiot.
    Noch immer aber war nicht alles getan. Als die beiden nackt und besinnungslos in der Werkstatt standen, sonderte der Bodensatz, der im Faß geblieben war, einen beißenden grünen Geruch ab. Melancthe holte erschrocken Luft, wich zurück und spie den Geschmack aus ihrem Munde. Carfilhiot aber fand Gefallen an diesem Gestank, und er sog ihn mit Gier in die Lungen.
    Einige Jahre später fiel die Burg Tintzin Fyral unter dem Ansturm der Armeen von Troicinet. Carfilhiot geriet in Gefangenschaft, und man hängte ihn an einem Galgen von grotesker Höhe, um ein Bild von unmißverständlicher Bedeutung sowohl an Tamurello zu Faroli im Osten wie auch an König Casmir von Lyonesse im Süden zu senden.
    Nach einer angemessenen Weile ward Carfilhiots Leichnam herabgenommen, auf einen Scheiterhaufen gelegt und zu den Klängen von Dudelsack und Flöten verbrannt. Inmitten des Freudenfestes stieg aus den Flammen ein Schwall von übelriechendem grünen Dunst empor, und der Wind erfaßte ihn und wehte ihn hinaus auf das Meer. Der Dunst wirbelte tief über den Wogen und mischte sich mit ihrem Gischt, und schließlich verdichtete er sich zu einer grünen Perle, die auf den Meeresgrund hinuntersank, wo sie am Ende von einer großen Flunder verschluckt wurde.
     

II
    Süd-Ulfland lag am Meer; es reichte von Ys im Süden bis Suarach im Norden: Kiesstrände und Felsgestade wechselten sich ab, und die Küste war größtenteils unfruchtbar und trostlos. Die drei besten Häfen befanden sich in Ys und Suarach und in Oäldes, das zwischen den beiden gelegen war. Andere Häfen, gute oder schlechte, waren dünn gesät und oft nicht mehr als Lagunen, die von einer Landzunge hakenförmig umschlossen wurden.
    Zwanzig Meilen weit südlich von Oäldes ragte eine Kette von Klippen ins Meer hinaus, die im Verein mit einem steinernen Wellenbrecher einigen Dutzend Fischerbooten Schutz spendeten. Rings um diesen Hafen schmiegte sich das Dörflein Mynault wie eine Klaue aus schmalbrüstigen Steinhäusern, zwei Tavernen und einem Marktplatz.
    In einem der Häuser lebte der Fischer Sarles, schwarzhaarig und kräftig, mit schweren Hüften und einem kleinen runden Bauch. Sein Gesicht war rund und bleich wie der Mond, und die Stirn war ständig ratlos gerunzelt, als liege für ihn das Leben und die Logik stets in einem Widerstreit.
    Die Blüte seiner Jugend war für immer dahin, aber Sarles hatte wenig vorzuweisen, nachdem er sich nun jahrelang mehr oder weniger fleißig abgerackert hatte. Sarles gab dem Schicksal die Schuld; wenn man allerdings seinem Ehegespons Liba Glauben schenken wollte, war Trägheit
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