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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
Autoren: Antje Rávic Strubel
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|7| Vorwort der Herausgeberin
    Das Manuskript zu diesem Buch ging in einem Umschlag ohne Absender beim Verlag ein. In diesem Umschlag befanden sich Weihnachtsgeschichten, über denen mein Name stand, und zwar korrekt mit dem Akzent über dem
a
in Rávic. In einem grünen Hefter fanden sich außerdem tagebuchähnliche Notizen, die als
Protokolle
bezeichnet waren. Zur Urheberschaft dieser Protokolle gab es keine Angabe. Der Verlag hatte zu diesem Zeitpunkt kein Manuskript von mir erwartet. Befremdlich wirkte die Sendung außerdem, weil sie ohne Gruß gekommen war, ohne ein Wort von mir, obwohl wir uns sonst immer freundliche Kärtchen in die Briefumschläge steckten. Mein Lektor klang besorgt am Telefon. Als ich begriffen hatte, worum es ging, war ich nicht weniger besorgt. Ich konnte ihm nur versichern, daß auch mir dieses Manuskript unbekannt sei. Weder die Weihnachtsgeschichten, noch die Protokolle hatte ich geschrieben.
     
    Nach der ersten Verwirrung und dem Entschluß, das aus dem Nichts aufgetauchte Manuskript wieder im Nichts verschwinden zu lassen, setzte eine Phase ruhigeren Nachdenkens ein. Ich las die Weihnachtsgeschichten. Und ich |8| begriff, daß hier ein Betrüger am Werk war. Der anonyme Absender hatte die Geschichten nicht nur unter meinem Namen verfaßt. Er hatte außerdem versucht, meinen Stil nachzuahmen.
    Ich las die Protokolle. Freimütig entlarvt der Autor darin seine Pläne. Er beschreibt, wie er sich bewußt meiner Sprache bemächtigt hat!
     
    Er gibt sich so deutlich als der Verfasser der Weihnachtsgeschichten zu erkennen, daß es mir ein Rätsel ist, warum er die Protokolle überhaupt der Sendung beifügte. Hätte er nicht ein Interesse daran haben müssen, seine Spuren zu verwischen?
    Stattdessen wird klar, daß es sich hier um jemanden handelt, der sich mir seit längerem an die Fersen geheftet hat. Viele Details und Beschreibungen in den Protokollen stimmen mit meinem Leben überein, häufig habe ich auf Lesungen dasselbe Gesicht gesehen. Seit einiger Zeit taucht ein Mann auf. Er ist Ende Fünfzig. Er trägt eine ausgeblichene Cordjacke, er setzt sich in die zweite Reihe nach außen und verwickelt mich am Schluß in Gespräche, von denen mir die Wörter
Geistesverwandtschaft
,
Fremde
und
Horizont
im Gedächtnis geblieben sind. Oft klingelt mein Telefon. Hebe ich ab, meldet sich niemand, aber ich höre, daß am anderen Ende verhalten geatmet wird. Ich möchte das nicht weiter ausführen. Sie werden in den Protokollen noch genug darüber erfahren.
    Daß ich einer Veröffentlichung zustimmte, ja sie geradezu vorantrieb, hat auch mit der Hoffnung zu tun, daß sich diese zwanghafte Spirale, diese seltsame Spiegelung des Betrügers in mir, dadurch endgültig auflösen möge.
     
    |9| Natürlich haben wir Nachforschungen angestellt. Ich überzeugte meinen Bruder, mit mir gemeinsam Dörfer in Brandenburg abzuklappern, die den vagen Beschreibungen in den Protokollen entsprechen könnten. Und wir hatten Glück. Schon beim dritten Anlauf fanden wir ein Haus, auf das die Beschreibungen zutrafen. Es stand in der Nähe eines Kanals, am dem vor kurzem die Pappeln gefällt worden waren, etwas von der Anliegerstraße zurückversetzt; der Ort, an dem die Weihnachtsgeschichten entstanden sein mußten.
    Allerdings wohnte dort eine Familie mit Kleinkindern. Wie sich herausstellte, waren sie vor wenigen Monaten eingezogen. Das Haus hatten sie von einem Makler gekauft, über die Vorbesitzer wußten sie nichts. Sie hatten den Kaufvertrag etwa in der Zeit unterschrieben, als der Verlag das Manuskript erhalten hatte. Auch in den Protokollen wird ein Makler erwähnt, und ich bin sicher, es handelt sich um denselben, den wir schließlich aufsuchten. Er wollte seinen Klienten nicht preisgeben. Auf Nachfrage im Verkehrsministerium, das der Betrüger als seine Arbeitsstelle angibt, gab man uns zur Antwort, daß sich dort niemand nebenbei schriftstellerisch verdinge. Im übrigen könne man nicht weiterhelfen, es gebe Richtlinien des Datenschutzes.
    Die Polizei haben wir nicht eingeschaltet. Zu diesem Zeitpunkt stand unser Entschluß zu veröffentlichen bereits fest.
    Natürlich redeten wir auch mit den Nachbarn. Aber sobald mein Bruder und ich nach dem Vorbesitzer fragten, schienen sie dringend die Hecke verschneiden zu müssen, stellten ihre Motorsägen an oder sagten, ihr Wasserkessel würde pfeifen, obwohl nicht das geringste Pfeifen zu hören war. Eine Frau aus dem Haus gegenüber meinte, sie interessiere |10|
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