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Es geschah in einer Regennacht

Es geschah in einer Regennacht

Titel: Es geschah in einer Regennacht
Autoren: Stefan Wolf
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1. K. o. am Baugerüst
     
    Für die Nacht war Regen
angesagt. Und der Abend, dachte Tim, bereitet sich darauf vor. Grauer Himmel,
Wolken mit Hängebäuchen. Es nieselt auch schon. Auf Gabys Gesicht versammeln
sich winzige Perlen.
    Lächelnd sah er seine Freundin
an, während sie Hand in Hand über die Museums-Meile gingen. Amtlich hieß die
Straße Graf-Otto-von-Lobbe-Ring, aber wegen der beiden Museen hatte sich die
Volksmund-Bezeichnung durchgesetzt.
    »Weshalb grinst du?«, fragte
Gaby. Gleichzeitig bückte sie sich und ließ Oskar von der Leine. Gabys
schwarzer Cockerspaniel hatte schon die ganze Zeit mit eingestemmten Pfoten
gezerrt.
    »Du hast winzige Regentropfen
auf dem Gesicht. Sehen aus wie Perlen.«
    Oskar wetzte los und verschwand
in der anbrechenden Dunkelheit. Die Straße war leer. Keine Autos. Keine Leute.
    »Sind aber leider nicht echt«,
lachte Gaby. »Ich kann die Perlen wegwischen. Oder sie trocknen. Dann stehe ich
da ohne Schmuck. Vielleicht sollte ich mir Nase und Lippen piercen und...«
    »Untersteh dich!« Tim grinste.
»An deinem Gesicht lässt sich nichts mehr verbessern. He, wo ist Oskar?«
    Sie hatten das Landesmuseum
erreicht, einen weltweit berühmten Hort moderner Kunst. Jetzt war natürlich
geschlossen, und das mächtige Gebäude — sechs Stockwerke hoch und doppelt so
breit — zeigte nur den matten Schein nächtlicher Notbeleuchtung hinter hohen
Fenstern. Neben dem Gebäude führte eine breite Zufahrt zur Rückfront. Tim, der
auch im Dunkeln gut sieht, gewahrte Baumaterial an der hinteren Gebäudeecke.
Außerdem war ein Baugerüst an der Hauswand hochgewachsen. Bei Tage wurde dort
renoviert. Die Handwerker hatten anscheinend ihre Brotzeitabfälle nicht
entsorgt, sondern einfach weggeworfen.
    Tim sah jedenfalls, wie Oskar
in Papier und Styproporschachteln wühlte und irgendwas fraß.
    »Wenn er einen spitzen Knochen
erwischt, kotzt er dir nachher wieder den Teppich voll, Pfote. Ich hole ihn.«
    »Hm.« Gaby gab ihm die Leine
und Tim lief durch die Zufahrt.
    Im selben Moment wich Oskar
hinter die Hausecke zurück. Ob’s Zufall war oder er ungestört fressen wollte,
wird sich nie feststellen lassen. Aber sein Verhalten hatte eine fatale Folge
für Tim, der nur knapp einer schweren Kopfverletzung entging. Damit ergab sich
der Einstieg für TKKG in ein mörderisches Geschehen.
    »Oskar!« Tim rief und pfiff.
Dann bog er ebenfalls um die Ecke, stand jetzt dicht an der Rückfront und damit
an dem Baugerüst.
    Oskar war nur drei Schritte
entfernt und zermalmte mit seinen Jagdhundzähnen einen Knochen, der vermutlich
viel Mark enthielt. Oskar schmatzte. Regen nieselte. Tim bückte sich zu dem
Vierbeiner und suchte nach der Öse am Halsband, um den Karabinerhaken
festzumachen.
    Über Tim — irgendwo in luftiger
Höhe — war ein Geräusch. Metall klirrte. Ein leiser Fluch. Ein »Pst!«
    Noch während sich Tim
aufrichtete, alarmiert bis in die Haarspitzen, wandte er den Blick nach oben.
Aber es war schon zu spät. Er sah noch, dass etwas auf ihn zusauste, zielgenau
auf ihn. Dann traf ihn die schwere, wörterbuchdicke Holzbohle auf den oberen
Rücken, auf linke Schulter und Nacken. Es hätte tödlich sein können. Tim
vermeinte, das Museum stürze über ihm ein. Heißer Schmerz schoss ihm vom Genick
bis in die Beine, dann war alles taub, und er kippte nach vorn wie ein halb
leerer Sack, blieb jedoch bei Bewusstsein. Er lag bäuchlings, mit dem Gesicht
in Abfällen, die nach Bratfett und Schweinshaxe rochen. Einen Arm hatte er
unter sich, der andere war abgespreizt und fühlte sich an wie abgetrennt.

    Gelähmt! Bin ich gelähmt? Der
Gedanke war Panik pur. Immerhin sah Tim die Abfälle neben sich — soweit der
Blick mit schräg liegendem Kopf in Bauchlage reichte — und er hörte Schritte.
    Es mussten zwei Personen sein.
Vermutlich Männer. Sie polterten über die Plattform, den so genannten Belag des
Stahlrohrgerüstes, stiegen eilig herab. Tim hörte ihr Keuchen. Obwohl es
abwärts ging, war ihnen der Atem knapp. Offenbar trugen sie eine Last. Einer
fluchte. Es war unverständlich, die Stimme heiser. Der andere keuchte laut,
zischte aber ständig »Pst, pst, pst!«
    Neben Tim sprangen die beiden
auf den Boden. Tim sah Schuhe und Hosenbeine — zweifellos Jeans — bis zum Knie.
Für einen Moment geriet etwas Wolliges in sein Blickfeld, ein großer
Gegenstand, gehüllt in eine Decke.
    Oskar war zurückgewichen. Er
knurrte aus sicherer Entfernung. Es klang, als hätte er den Knochen
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