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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
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    Sie löste sich vorsichtig von Gary, der halb auf ihr schlief, und schob sich an die Bettkante. Jeden Abend das Gleiche: Er drehte sich zu ihr herum und legte Arm und Oberschenkel schwer auf sie, drückte sie tief in die Matratze. Es war schlimmer geworden, seit ihnen das Haus zugewiesen worden war. Er konnte ohne sie nicht schlafen. Mit angehaltenem Atem wartete Michelle, bis das Bettgestell aufhörte zu quietschen. Das rissige Linoleum unter ihren Füßen war kalt. Gary seufzte. Sie sah in sein Gesicht, jung im schwachen Licht, der Mund leicht geöffnet. Die Hand hatte sich im Leintuch festgekrallt, seine Augen waren zusammengekniffen. Sie war froh, dass sie seine Träume nicht kannte.
    Sie schlüpfte in einen von Garys Pullovern, zog ein Paar seiner Socken an und schlich aus dem Zimmer.
    Die Kinder hatten hier oben ein eigenes Zimmer, aber in den letzten Wochen war es dort zu kalt geworden. Eis bedeckte die Fensterscheiben, und ihr Atem plusterte sich in der Luft. Stellen Sie doch einen Ölofen rein, hatten Nachbarn gesagt, auf niedriger Flamme. Aber Michelle wusste von zwei Hausbränden in nächster Nähe seit Winteranfang. Die Feuerwehr war zu spät gekommen, die eingeschlossenen Kinder waren erstickt.
    Also legten sie unten im Wohnzimmer immer noch einmal Kohle nach und prüften, ob das Schutzgitter, das sie sich von ihren Eltern ausgeliehen hatten, ordentlich befestigt war. Natalies Kinderbett stellten sie in die Mitte des Zimmers, sobald der Fernseher aus war, und Karl schlief auf dem Sofa, zusammengerollt unter Mänteln und Decken, den Daumen im Mund.
    Unten betrachtete Michelle lächelnd die Kleine, die sich gedreht hatte, den Kopf in die untere Ecke des Betts gedrückt, ein Bein zwischen den Gitterstäben herausgestreckt. Sie hob beide Hände zum Mund und wärmte sie an, bevor sie den kleinen Fuß ihrer Tochter behutsam wieder unter die Decke schob. Sie würden beide gewickelt werden müssen, wenn sie aufwachten. Dabei fiel Michelle ein, dass sie selbst wach geworden war, weil sie aufs Klo musste, und sie wappnete sich innerlich für den Besuch des eiskalten Badezimmers, die ehemalige Waschküche, mehr schlecht als recht umgebaut, mit holprigen Steinplatten auf dem nackten Erdboden.
    Sie rieb ein kreisrundes Stück des mit Eisblumen überzogenen Fensters blank. Draußen war es noch dunkel, nur zwei, drei bleiche verschwommene Lichter an der Straße waren zu sehen. Wenn sie Glück hatte, konnte sie sich ein Weilchen mit der Zeitung von gestern hinsetzen und Tee trinken, gestohlene Zeit, bevor die Kinder aufwachten und Garys Schritte auf der Treppe zu hören waren.
     
    Resnick war seit vier Uhr wach. So sehr auf nächtliche Störung geeicht, hatte er, so schien es, den Schlaf schon zurückgedrängt und nach dem Telefon gegriffen, bevor er das erste Läuten hörte. Kevin Naylors Stimme klang undeutlich und seltsam fern. Verärgert musste Resnick ihn mehrmals bitten, zu wiederholen, was er gesagt hatte.
    »Tut mir leid, Sir, das liegt an diesem Mobiltelefon.«
    Resnick hörte nur Wortfetzen, die auseinanderflatterten wie Stare im frühen Morgenlicht.
    »Wählen Sie neu«, sagte Resnick. »Versuchen Sie’s noch mal.«
    »Hallo? Sir? Ich kann Sie nicht mehr hören.«
    Resnick fluchte und unterbrach selbst die Verbindung. Als Naylor noch einmal anrief, verstand er ihn einwandfrei.Ein Taxifahrer habe zwei junge Männer von der Stadtmitte zu einer Adresse in West Bridgeford fahren sollen. Als sie sich der Lady-Bay-Brücke genähert hätten, habe einer von ihnen ans Fenster geklopft und den Fahrer gebeten anzuhalten, seinem Kumpel sei schlecht, er müsse sich übergeben. Der eine junge Mann sei aus dem Wagen gestiegen und der andere habe den Fahrer mit einer Eisenstange bedroht. Die Kerle hätten ihn aus dem Wagen gezogen und zusammengeschlagen und sich dann mit den Einnahmen des Fahrers aus dem Staub gemacht. Ein Milchwagen habe schließlich angehalten.
    »Und die Eisenstange?«, erkundigte sich Resnick.
    »Sie wollten sie offenbar in den Trent werfen, Sir, aber sie ist im Schlamm gelandet.«
    »Was ist mit dem Fahrer?«
    »Er liegt im Krankenhaus, Notaufnahme.«
    »Wer ist bei ihm?«
    »Die Kollegen von der Streife müssten jetzt dort sein, Sir. Es ist niemand   –«
    »Graham Millington   –«
    »Urlaub, Sir. Er und seine Frau wollten verreisen. Zu den Schwiegereltern, glaube ich   …«
    Resnick seufzte. Wie hatte er das vergessen können. »Dann Divine. Ich möchte, dass jemand bei ihm ist, rund um
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