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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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Als ich Stephan Textor vor mir liegen sah, vergingen mir die Trostsprüche, mit denen ich mich auf dieses Wiedersehen vorbereitet hatte. Es war ein scheußlicher Apparat, in dem er da im Zimmer 128 der Jordanischen Klinik halb lag und halb hing, sehr sauber, sehr klinisch und technisch fraglos vollendet, aber trotzdem einem mittelalterlichen Folterinstrument vertrackt ähnlich. Kopf, Schultern und Rücken ruhten auf einem schneeweiß überzogenen Luftbett, die Beine aber ragten, um das Becken zu entlasten, schräg empor und wurden von einer flaschenzugähnlichen Apparatur gehalten und zugleich gezerrt, als hätte man die Absicht, den kleinen Mann um ein paar Zentimeter zu strecken. Aber mehr als dieses Prokrustesbett erschreckte mich der Ausdruck seines Gesichtes. Es wirkte tot, maskenhaft und erloschen; das dichte, bleigraue Haar, der Schnurrbart und die buschigen tiefschwarzen Brauen schienen von einem Dorfbarbier, der sich bei ländlichen Theatervereinen als Maskenbildner betätigte, aus verschiedenartig gefärbtem Werg auf die wächserne Haut geklebt zu sein.
    »Hallo, Textor, alter Freund,« sagte ich erschüttert und stellte eine Flasche Beaujolais, die ich ihm statt der üblichen Blümchen mitgebracht hatte, auf die Glasplatte seines weißlackierten Nachttischchens. »Menschenskind, wie haben Sie das nur fertiggekriegt?«
    Es war jetzt genau drei Wochen her, daß ich Notiz von seinem Unfall in der Zeitung gelesen hatte: Der Kunsthändler S.T. sei mit seinem Wagen auf dem Wege nach Italien in der Nähe von Kufstein mit großer Geschwindigkeit in einen am Straßenrand haltenden Lastkraftwagen hineingefahren und habe sich dabei die Wirbelsäule so schwer verletzt, daß an seinem Aufkommen gezweifelt werde. Die Berufsbezeichnung, die Anfangsbuchstaben des Namens und die Bemerkung, daß der Unfall auf dem Wege nach Italien erfolgt sei, ließen mir keinen Zweifel daran, daß es sich nur um Stephan Textor handeln könne, denn wenige Tage vor seiner Abreise hatte er mich angerufen und mir mitgeteilt, daß er zwei Auktionen, eine in Florenz und die andere in Rom, besuchen werde, und wenn ich Lust hätte, seiner Frau Gesellschaft zu leisten, dann stände mein Zimmer in Pertach für mich bereit.
    Textor war Kunsthändler und Sammler. Sein Spezialgebiet waren antike Möbel und frühes Porzellan. Der Tee, den man bei ihm trank, war nicht besser und nicht schlechter als jener, den man auf anderen Gesellschaften einzunehmen pflegte — ich persönlich verzichtete auf den Genuß nicht nur deshalb, weil ich kein besonderer Freund von Tee bin, sondern weil ich für Textors Gesellschaften zu nervös war. Um so mehr bewunderte ich die Nerven der anderen Gäste. Denn das Porzellan, in dem serviert wurde, kam aus Textors Vitrinen und entstammte der Wiener Manufaktur, war frühes Meißen mit dem berühmten »reflet métallique«, den man noch vor Höroldt dort verwandte, oder war kostbarstes Sèvres, ein kleines Vermögen wert. Sein Name genoß internationalen Ruf, und die Dorfjugend von Achenreuth, in dessen Nähe sein Besitz Pertach mit dem sogenannten Georgischlößl lag, kannte sämtliche anständigen Automobilmarken Europas und der übrigen Welt, mit Ausnahme Rußlands natürlich, obwohl einmal sogar Madame Alexandra Michailowna Kollontaja, die Botschafterin der UdSSR in Stockholm, bei ihm vorgefahren war; aber sie hatte einen schwedischen Wagen benutzt.
    Es war ein Jammer, diesen kleinen drahtigen Mann mit der Energie und Vitalität von fünf Männern, die halb so alt wie er selber waren, hier so kläglich aufgehängt zu sehen. Vor ein paar Monaten hatten wir auf Pertach seinen achtundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Wenn die Zahl, aus Marzipan gegossen und von Marzipanrosen umkränzt, nicht auf der Geburtstagstorte gestanden hätte, wäre es mir nie eingefallen, daran zu denken, daß Textor tatsächlich genau zwanzig Jahre älter war als ich selber. Und als ich ihn in einer improvisierten Rede um das Geheimnis seiner Jugend gebeten hatte, erwiderte er, die Nase in der berückenden Blume eines 45er Iphöfer Julius Echterberg, daß er dieses Geheimnis gern preisgäbe. Es bestände darin, alte Weine zu trinken, eine junge Frau zu lieben und seine Freunde nie älter zu wählen, als man selber sei. Kein übles Rezept... Daß ich ihn im Verdacht gehabt hatte, er färbe seinen Schnurrbart und die Augenbrauen, bat ich ihm jetzt innerlich ab, denn unter den obwaltenden Umständen hätte er wohl weder Gelegenheit noch Laune gehabt,
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