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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Autoren: Ralf Schulte
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Beginn
    „Guten Tag!“, ein alter Mann grinste sie an. „Ich bin ihr zugeteilter Rentner!“
„Was?“
Clara verstand nicht, was passierte. Vor ihr stand ein kleiner, alter Mann. Dicker Mantel, Bogart-Hut, einen großen schäbigen Koffer in der Linken und mit der Rechten hielt er die Hundeleine, die tief nach unten führte und an einem winzigen Dackel endete.
„Ich bin ihr zugeteilter Rentner!“
Die Stimme des Mannes klang rau und kehlig. Tiefe Denkfalten durchzogen sein Gesicht, so als würde er sich ständig über etwas ärgern. Kurz gesagt: Ihm fehlte das freundliche Äußere für das Rentner im Allgemeinen bekannt waren.
„Was soll das sein? Hat der Hausmeister Sie geschickt?“
Der Mann zögerte.
„Nein, ich bin Ihr Rentner!“
„Mein Rentner?“
„Ich wurde Ihnen zugeteilt! Maximilian Himmel ist mein Name.“
„Zugeteilt?“
„Um bei ihnen zu wohnen!“
Ein alter Mann in ihrer Wohnung? Die fünfzig Quadratmeter reichten noch nicht einmal für sie. Das musste ein Scherz sein – das konnte nur einer sein. Sie studierte, besaß kaum Geld und sah sich auch sonst nicht in der Lage, für einen Menschen zu sorgen. Außerdem würde ihr keiner einen Menschen anvertrauen.
Sie blickte sich um. Rechts war niemand im Flur, links auch nicht. Eine versteckte Kamera vielleicht? Irgendjemand spielte ihr Streiche, bestimmt einer vom Studium.
„Netter Versuch! Aber ich falle nicht drauf rein!“
Mit diesen Worten warf sie die Tür zu.
„Sagen Sie denen“, fuhr Clara hinter der Tür fort, „dass es nicht geklappt hat. Das war nicht lustig.“
Maximilian blieb einfach stehen und starrte auf den weiß-grauen Lack der Tür, in dem sich sein Gesicht widerspiegelte.
„Ich hab’ dir doch gesagt, benimm dich“, sagte er zu seinem Dackel und zog einmal kurz an der Leine. Doch der Hund blickte nur nach oben, blinzelte zweimal und ließ danach die Zunge raushängen. Am Ende des Ganges machte es ein lautes Klack; danach ging das Licht im Flur aus.
Clara lag längst auf ihrem Sofa. Den ganzen Morgen hatte sie die Wohnung geputzt. Anschließend wurde der Berg unbezahlter Rechnungen nach „Sofort-bezahlen“, „Hat-noch-eine-Woche-Zeit“ und „Kann-noch-nächsten-Monat-bezahlt-werden“ sortiert. Außerdem hatte sie wieder drei Kapitel im Medizinbuch „Biochemie des Menschen“ geschafft. Jetzt folgte die Belohnung: links ein Kaffee, rechts die neue Zeitschrift über Single-Frauen, die Extremsportarten betrieben und als Nachschlag gab es „Heim & Wohnung“ mit einem Spezial über Düfte. Vor allem die Tipps für keimfreie, lang anhaltende Frische interessierten sie. Am liebsten mochte Clara es, wenn eine feine Duftspur aus Zitronen-Allee und Kaffeehaus durch die Wohnung wanderte, so entspannte sie sich noch besser, die Klatschspalten in der Illustrierte halfen zusätzlich. Außerdem gab es viel Wissenswertes zu Karriere, Mode und Kochen – eben für jede Stimmung etwas. Meistens las sie aber die Diättipps von Hollywood-Stars: „In drei Wochen zehn Kilo verlieren“ oder „Ich esse gern – und nehme trotzdem ab“. Komischerweise funktionierten diese Diäten nur bei übermenschlichen Prominenten, die mindestens ein Haus in London, eins in Malibu und eins auf Mallorca besaßen. Vielleicht verbarg sich dahinter ihr Erfolgsgeheimnis. Diese Menschen reisten soviel durch die Welt, dass sie dadurch ihr Gewicht verloren. Reich sein musste man, inklusive Traumfigur. Dann war alles einfacher. Dann wurde man liebevoll vom Personal-Trainer mit einem Müsli-Shake geweckt – nicht wie bei ihr von den lauten Nachbarn. Das sorgte nur für Stress und wenig bei Figurproblemen. Auch den ganzen Tag auf dem Uni-Campus umherzurennen, brachte ihre Fettverbrennung nicht in Schwung. Von der Mensa ins Studentensekretariat, dann zum BAföG-Amt, anschließend ins Anatomische Institut, die nächste Vorlesung, zwei Stunden stehen, dann in den Präp-Kurs, anschließend in die überfüllte Cafeteria, der nächste Sprechstunden-Termin, drei Stockwerke höher ins Physiologische Institut, in die Reihe anstellen, wieder warten; eine Stunde später sitzt sie dann im Schweiße aufgelöst vor ihrem Prof, der nur zwei Minuten für sie erübrigt, das Histologie-Praktikum fängt bereits an, wieder rennen, wieder schwitzen. Und wofür das alles? Um am nächsten Morgen festzustellen, dass sie zweihundert Gramm mehr wog, obwohl sie nur einen Apfel gegessen hatte? Wo blieb da die Gerechtigkeit?
Aber sie fühlte sich gar nicht dick. Sie fand sogar, dass sie
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