Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
1
     
    »Nach Giscard kam de Gaulle…« 
    Die trockene Bemerkung kam von einem Staatssekretär des britischen Foreign Office und war vertraulich gemeint. Ein Vertreter des amerikanischen State Department sagte es drastischer: »Nach Giscard kam ein brutalerer de Gaulle - ein de Gaulle mit zehnmal mehr Macht.« Sie sprachen natürlich von dem neuen Präsidenten der Französischen Republik, nur wenige Stunden vor dem ersten Anschlag auf sein Leben.
     Es war sein antiamerikanischer Ausbruch in Dijon gewesen, der diese beiden Bemerkungen über den mächtigsten Staatsmann Westeuropas provoziert hatte. Verständlicherweise löste die Nachricht vom Mordversuch an Präsident Florian in bestimmten Kreisen Washingtons nur deshalb echte Trauer aus, weil er fehlgeschlagen war. Aber an jenem winterlichen Dezemberabend, als Florian den Elysée-Palast verließ, um die wenigen Dutzend Meter zum Innenministerium am Place Beauvau zu gehen, entging er dem Tod nur um Haaresbreite.
     Guy Auguste Florian, der Nachfolger Giscard d’Estaings als Präsident der Französischen Republik, war auf spektakuläre Weise und völlig unerwartet an die Macht gekommen - so unerwartet, daß seine Amtsübernahme fast jede Regierung der Welt unvorbereitet traf. Florian war hochgewachsen, schlank und agil und sah mit seinen zweiundfünfzig Jahren zehn Jahre jünger aus; er war außergewöhnlich intelligent und zeigte sich ungeduldig mit Menschen, deren Köpfe langsamer arbeiteten als sein eigener. In seiner dominierenden Präsenz, in der Art, wie er jeden Menschen seiner Umgebung durch die schiere Kraft seiner Persönlichkeit beherrschte, war etwas von Charles de Gaulle zu spüren. Am Mittwoch, dem 8. Dezember, um acht Uhr abends, war er höchst ungeduldig, als Marc Grelle, der Polizeipräfekt von Paris, ihn davor warnte, zu Fuß durch die Straßen zu gehen.
    »Es steht ein Wagen bereit. Er kann Sie ins Ministerium fahren, Herr Präsident …«
    »Meinen Sie, ich würde mich sonst erkälten?« fragte Florian. 
    »Womöglich wollen Sie sogar, daß ein Arzt mich in diesen zwei Minuten begleitet, die ich für den Weg brauche?« 
    »Immerhin wäre er verfügbar und könnte den Blutstrom stillen, falls Sie von einer Kugel getroffen werden…«
    Marc Grelle war einer der wenigen Männer in Frankreich, die es wagten, Florian mit gleichermaßen ironischen Wendungen zu widersprechen. Der Polizeipräfekt, weiundvierzig Jahre alt, ein paar Zentimeter kleiner als der einen Meter sechsundachtzig große Präsident, war ebenfalls schlank und athletisch gebaut und ein Mann, dem Förmlichkeit zuwider war. Das zeigte sich auch in seiner Kleidung. So trug er während der Arbeitszeit meist sorgfältig gebügelte Hosen und einen Rollkragenpullover. Das war seine normale Arbeitskleidung, die er auch jetzt trug. Vielleicht waren es diese Ungezwungenheit und dieses selbstsichere und gelöste Auftreten, die den seit einem Jahr verwitweten Präfekten - seine Frau war bei einem Autounfall ums Leben gekommen - für Frauen attraktiv machten. Seine Erscheinung mag da auch ein wenig geholfen haben; er hatte sich einen gepflegten dunklen Schnurrbart stehen lassen, der gut zu seinem dichten schwarzen Haar kontrastierte, er war - wie der Präsident kräftig gebaut, und obwohl er im allgemeinen ein Pokergesicht zur Schau trug, zeigte sich in seinen Mundwinkeln ein Anflug von Humor. Er zuckte die Achseln, als Florian einen Mantel überzog und sich bereitmachte, sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Elysée zu verlassen.
     »Dann werde ich Sie begleiten«, sagte der Polizeipräfekt.
    »Aber Sie gehen ein unnötiges Risiko ein …«
    Er folgte Florian aus dem Arbeitszimmer und die Treppe zu der großen Halle hinunter, die zum Vorderportal und dem geschlossenen Innenhof führt. Im Gehen zog er seinen ledernen Regenmantel über. Er ließ den Mantel bewußt offen; so konnte er leichter an seinen 38er Smith & Wesson-Revolver herankommen, den er immer bei sich trug. Es ist nicht üblich, daß ein Präfekt bewaffnet ist, aber Marc Grelle war auch kein Präfekt vom gewöhnlichen Schlag; da eine seiner Hauptpflichten darin bestand, den Präsidenten innerhalb der Stadtgrenzen von Paris zu schützen, faßte er dieses Gebot als persönliche Verpflichtung auf. In der mit Teppichen ausgelegten Halle öffnete ein uniformierter und mit Medaillen dekorierter Pförtner die hohe Glastür. Florian, der dem Präfekten schon um einiges voraus war, lief die sieben Stufen zu dem mit Kopfsteinpflaster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher