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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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Schade, dass der Mensch mordet. Wirklich. Aber zuerst alles der Reihe nach. Nämlich:
    Sonntag
    Sehr, sehr früh. Um ein Uhr morgens ist es im Weltall schon sehr dunkel und sehr gross. Wären da nicht all die Sonnen und Sterne, wäre es da draussen stockdunkel. In all diesem Dunkel fliegen Meteoriten, Planeten, giftige Gasnebel, Supernovas und Satellitenschrott wild durchs All, dass es einem schwindlig würde. Doch da ist ja niemand dort draussen, den das konfus machen könnte. Irgendwo zwischen diesen Himmelskörpern schwebt eine herzig kleine blaue Kugel mit Meeren, Bergen und Kontinenten umher. Sie ahnen es, ich spreche von der Erde. Die kennen Sie. Und wenn wir an sie heranzoomen aus dem finsteren All, wird aus dem unsichtbar kleinen Punkt die gerade beschriebene blaue Kugel. Und wenn wir näher an die Nordhalbkugel heranschauen, sehen wir Italien. Einfach zu merken, ist ein Schaftstiefel, fast etwas kess in der Form.
    Für uns wichtiger: Etwas nördlich vom Stiefel kommt mitten zwischen Uetliberg und dem Pfannenstilrücken die schöne Stadt Zürich. Steht idyllisch am unteren Ende des Sees, der passenderweise Zürichsee heisst. Der See steht im Osten, die Stadt zwischen Hügeln, wo Villen hinaufklettern. Nach Nordwesten steht das Limmattal, heisst so, weil Fluss. Da arbeitet sich das fleissige Industriegebiet viele Kilometer weit in diese Richtung hinein. Zürich = Stadt von Tüchtigkeit und emsigem Treiben. Stadt von Kultur. Aber auch Stadt von Verbrechen. Ist schon schön, aber auch ein Kriminalitäts-Hotspot. Muss man eingestehen. Hat alles zwei Seiten. Yin und Yang. Siehst du sogar aus dem Weltall sofort, du meinst, es signalisiert’s dir ein Blaulicht mit Sirene, die durch die zwölf Stadtkreise rast. Sind zwölf, wie die Apostel, die Monate und das Dutzend. Runde Sache, und so fügt sich alles und hat es in sich. Und die schöne Stadt Zürich ist der Wohnsitz vom Müller, um den geht es hier, ein vorzüglicher Polizeimann.
    Und wer ihn fragt: «Wie heisst dein Name?»
    Dem sagt der Müller einfach: «Müller.»
    «Wie der Fussballer?»
    «Ja.»
    Und da hast du wirklich Auswahl: Gerd, Kudi, Thomas, René, Patrick und viele mehr. Darum ist das ein guter Name. Aber der vorzügliche Polizeimann Müller = Benedikt.
    Zentrale Frage: Müller: «War Polizeimann?» Oder «ist Polizeimann»? Was jetzt? «War», nicht «ist»? Oder «ist er noch»? Gute Frage, aber das wissen wir nicht so genau, doch mehr darüber später. Und dieser Müller, ein Bild von einem Mann, aber nicht besonders mit Muskeln behängt und schon Mitte vierzig, also nicht mehr jungjungjung. Der Müller grundsätzlich Polizeimann seit neunzehn Jahren. Zugezogen vom Land, wie alle Zürcher. Der Müller aus einem Kuhdorf. In seinem Kerngehäuse fühlt er noch immer katholisch. Aus (damals) einfachem Landleben in die Stadt. Er wohnt nicht am See oder am Hügel mit Glamour vollgepackt, wo Banker und Werber und andere Luxusdienstleister, sondern im populären Wiedikon am Fusse des Uetlibergs, wo die Sonne früher untergeht, also weniger Sonnenstrahlen, weil früher Schatten, und es inzwischen auch immer teurer wird. Sauteuer, müssen wir sagen. Realistisch. Sauteuer, vor allem für einen Lohn von Polizei Zürich. Soziale Realitäten.
    Aber, ehrlich gesagt, flieht auch Wiedikon aus dem Geruch des arbeitsamen Proletariats langsam hin zur Postmoderne, obwohl die schon vorbei. Gleich hinter der Post an der Ecke Birmensdorfer-/Seebahnstrasse fängt es schon an. Da pirschen sich jetzt auch Galerien und Designgeschäfte und Eigentumswohnungen im Stockwerkeigentum an die nichtsahnenden Bewohner heran, in denen die Wirklichkeit wirblig herumrationalisiert. Sprich: Alles kommt her, was das Leben schöner macht, man aber eigentlich gar nicht wirklich braucht. Schwuppdiwupp bist du ein Alteingesessener, derjenige, welcher nicht die richtigen Markennamen trägt und schätzt, also quasi ein Fossil aus früheren Zivilisationsschichten und reif fürs Heimatmuseum. Dann stopfen die dich aus und dort, wo man dich anschauen könnte, womöglich in einer Vitrine, damit staubfrei, stehst du nun. Aber niemand kommt besichtigen. Warum? Weil die Neuwiediker alle arbeiten müssen, ganze Zeit lang, um genug Batzeli zu haben, damit sie in den neuen Galerien und Designgeschäften einkaufen können. Haben sie kein Geld, geht es ihnen wie dir: Du wirst ein Fossil, stirbst aus und ab in den Orkus.
    Trotzdem: Ist noch Heimat vom Müller. Weil er trägt «Zürich» und «Wiedikon»
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