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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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auf. Wie hatte sie es rechtzeitig aus dem überfluteten Gewölbe unter der Kirche geschafft? Sie konnte sich nur in den Hohlraum des Dorfbrunnens gerettet haben. Nun war sie eine Belastungszeugin gegen ihn.
    Warum nur, um Himmels willen? Wie in Trance starrte Körner auf den Monitor. Sabriskis Bild verschwand, wiederum wurden Aufnahmen von Grein gezeigt, diesmal von dem geborstenen Damm und der lehmfarbenen Flut, die das Land in einen gigantischen See verwandelt hatte.
    »Im Moment ist noch unklar, wie Körner zu dem Sprengmaterial gekommen ist. Laut Zeugenaussagen ist es ihm gelungen, den Damm mit einem Fernzünder auf einer Länge von mehreren Hundert Metern zu zerstören, wodurch die unmenschliche Tragödie von Grein heraufbeschworen wurde. Bisher ist bekannt, dass zwanzig Menschen in der Flut ertranken. Dutzende werden vermisst. Die Bergungsaktion läuft seit mittlerweile sechseinhalb Stunden, die Einsätze werden die gesamte Nacht andauern … soeben wurde bekannt, dass die Greiner Hochwasserkatastrophe das einundzwanzigste Todesopfer gefordert hat … zurück zum Amokläufer. Körners Tochter überlebte die Katastrophe mit leichten Verletzungen. Auch sie konnte aus seiner Gewalt befreit werden, allerdings steht sie unter Schock …«
    »Blödsinn!« Körner trat den Beitisch um, sodass das Tablett mit dem Essen klirrend zu Boden fiel.
    »… laut Aussage des Landesgendarmeriekommandos wird sie innerhalb der nächsten Tage nach Heidenhof in die Obhut ihrer Großeltern übergeben.«
    »Nein!« Körner ballte die Hand zur Faust. Der Verband knirschte. Blut sickerte durch die Mullbinde. Der Schmerz hielt ihn wach. Er musste bei Sinnen bleiben, da er jeden Augenblick den Verstand zu verlieren glaubte.
    Indessen wurde zurück ins Nachrichtenstudio geschaltet. Der Sprecher blätterte in seinen Unterlagen, ein Blick in die Kamera folgte. »Körner wäre heute in drei Tagen zu einer Anhörung vor Gericht vorgeladen gewesen, da wegen seiner Fahrlässigkeit während seines letzten Falls zwei Kripobeamte angeschossen wurden, und ein mutmaßlicher Geiselnehmer an den Folgen seiner Verletzungen im Krankenhaus verstarb. Das Verfahren gegen Körner verzögert sich nun. Der Amokläufer ist zurzeit in psychiatrischer Behandlung. Zurück zu den aktuellen Meldungen aus Grein …«
    Körners Sinne wurden taub. Er sah die Bilder im Fernsehen wie durch einen grauen Filter: Hochwasser, wohin das Auge reichte. Aus dem Hubschrauber glich der Ort einem schmutzigen See, aus dem Dutzende rote Schindeldächer ragten. Mitten im schlammigen Wasser trieben Boote. Dazwischen glaubte Körner schlangenhafte, braune Tentakel schwimmen zu sehen.
    »Da ist es doch«, presste er ungläubig hervor. Sah das denn niemand? Der Grund, weshalb er den gesamten Ort vernichtet hatte war doch offensichtlich zu erkennen.
    »… Murenabgänge verschlimmern die Bergungsarbeiten der Feuerwehr. Aus den Wäldern rollte die Schlammflut wie eine Lawine ins Tal.«
    »Keine Muren, es ist das Gezücht … es kommt an die Oberfläche!« Ungläubig starrte Körner auf den Monitor. Wie konnte das sein? Das Getier war doch in den Greiner Wassermassen ertrunken, im Ölteppich verbrannt oder zumindest an den Chemikalien verreckt. Es konnte das alles nicht überlebt haben. Und falls doch? Ein schrecklicher Gedanke erfasste Körner. Konnte das Ding überhaupt sterben? Er versuchte, sich die Konsequenz der Ergebnisse von Sabriskis Autopsie an der Krajniktochter auszumalen. Unter dem Elektronenmikroskop hatte das untersuchte fremde Gewebe ein merkwürdiges Bild gezeigt. Die Fleischfetzen, Hautteile, Knorpel- und Blutspuren hatten eine Eigenautonomie aufgewiesen. Normalerweise hätte der Zerfallsprozess bereits einsetzen müssen, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Sämtliche Teile besaßen eine erhöhte Zellteilung, das Gewebe aktivierte sich von selbst und die Nerven reagierten auf Einflüsse von außen. Das Gewebe war nicht tot. Es lebte weiter, für sich allein! Und wenn das Wesen nun nicht tot war? Der Gedanke trieb ihn schier in den Wahnsinn.
    Eine Zeit lang stierte Körner wie benommen durch den Monitor hindurch. Längst war die Sondersendung aus Grein beendet, stattdessen liefen Werbungen, aber seine Augen nahmen das Fernsehgerät nicht mehr wahr. In welcher Hölle war er da gelandet? Wer waren die Drahtzieher, die ihn als Schuldigen auserkoren hatten? Erst das Öffnen der Tür holte ihn in die Realität zurück.
    Befand er sich überhaupt in der Realität - oder war
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