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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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er vielmehr in einem verrückten Traum gefangen? Körner sah auf. Diesmal kam keine Schwester herein, sondern zwei Ärzte in Kitteln.
    Der ältere, mit Vollbart, gerunzelter Stirn und ernster Miene deutete auf seinen jüngeren Kollegen. »Doktor Pirrer aus der Kremser Unfallklinik«, brummte er. »Ich bin Doktor Czerny. Wie geht es Ihnen?«
    Der jüngere Arzt betrachtete zuerst das auf dem Boden liegende Tablett, anschließend nahm er das Krankenblatt vom Bettende, um flüchtig über den Bericht zu lesen.
    »Krems«, hauchte Körner. Soeben krempelte sich sein Gedächtnis von innen nach außen. »In Krems gab es vor sieben Jahren ähnliche Fälle wie in Grein …« Er erinnerte sich an die Akten, zu denen ihm Staatsanwalt Hauser den Zutritt verweigert hatte. »Genauso wie in Krems werden die Ereignisse in Grein zur Verschlussakte erklärt werden, habe ich Recht? Die Wahrheit wird verschwiegen, sie kann unmöglich an die Öffentlichkeit gelangen, nicht wahr?«
    Körner starrte die Ärzte an. Mit einem Mal dämmerte ihm, was er soeben gesagt hatte. Es war die einzige plausible Erklärung. Nur so konnte es gewesen sein: Krems 1996, Gmunden 1999. Auch dort wurden Vierzehnjährige mit zerfetzter Wirbelsäule gefunden … ähnlich wie dieses Jahr in Grein. Schon damals hatte Philipp in den Fällen ermittelt, Basedov die Fotos geschossen. Bestimmt gab es auch in diesen Orten Eisengestänge mit Seilwinden und Lederfesseln, irgendwo verborgen in den Häusern. Bestimmt gab es auch dort Maschinen unter der Erde. Natürlich gab es auch dort Menschen mit Haltungsschäden, Wirbelsäulenproblemen und chronischen Kopfschmerzen. Zweifelsohne trugen die Menschen auch dort Heftpflaster auf dem Rücken.
    Körner erinnerte sich an Weißmanns Aussage über die Reporterin von der Rundschau, die sich im Nervenkrankenhaus die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Wir haben etwas nachgeholfen - auch wir haben Kontakte. Natürlich hatten sie Kontakte und umfassende Beziehungen. Das Netz der Lügen reichte weiter, als Körner je geahnt hätte. Bei dem Gedanken drehte sich alles um ihn. Erst jetzt wurde ihm das Ausmaß der Hölle bewusst, die er aufgestoßen hatte.
    »Die Opfer von damals hatten auch Knochenmarkkrebs, nicht wahr?«
    Die beiden Ärzte warfen sich einen Blick zu. Körner entging es nicht, für einen Moment veränderten sich ihre Pupillen katzenhaft. Bei dem Anblick gefror Körner das Blut in den Adern. Die Ärzte standen zu dicht an der Wand. Bestimmt war es auch hier, direkt hinter ihnen, verborgen in den Steckdosen, hinter den Bänken, den Tapeten, Bildern, Spiegeln. Nicht nur in Grein, es wohnte noch in so vielen anderen Orten …

Epilog
     
    Die Zelle
     
    Es war fünf Uhr morgens. Seit drei Nächten schon ging Körner barfuß in der fensterlosen Zelle auf und ab. Der Kunststoffboden war kalt, ebenso die weißen PVC-Fliesen, mit welchen der Raum bis zur Decke verkleidet war. Die Zelle maß nur drei Meter in der Diagonale, mehr Platz stand ihm nicht zur Verfügung. Deshalb waren es seit Tagen immer wieder die gleichen Schritte, vier nach vorne, eine Wendung um die Ölkreidezeichnungen, die auf dem Boden lagen, und vier Schritte zurück.
    In der Raummitte stand eine Saftflasche, daneben ein Tablett mit einer Fleischbrühe und Kartoffelbrei. Die Brühe war längst erkaltet und eingetrocknet. Seit Tagen war der Essensgeruch von der in der Ecke stehenden Leibschüssel mit dem Klopapier und der Handflasche geprägt, die halb voll mit Urin stand. Daran konnte selbst das in der Decke eingelassene Belüftungsgitter nichts ändern. Diese Idioten hatten ohnehin nur eine Attrappe an die Mauer montiert, da es in der Zelle immer muffiger wurde. Wozu das Ganze? Er wusste es! Schließlich mussten sie irgendwo ihre Kameras verstecken.
    Seit Tagen trug er dieselbe Anstaltskleidung, eine Baumwollhose und ein verschwitztes Hemd. Mittlerweile war es nicht mehr zugeknöpft, da er die Knöpfe abgerissen hatte, um daran zu kauen. Er brauchte den Speichel, um wach zu bleiben, denn eher würde er sich die Zunge abbeißen, als den Saft aus der Plastikflasche zu trinken. Zunächst hatten sie zu offensichtlich fünfzig, viel eher noch neunzig Tropfen flüssiges Valium ins Wasser geträufelt, um ihn müde zu machen. Er hatte den scharfen Alkoholgeruch sofort wahrgenommen. Selbst aus der Saftflasche, die sie ihm gestern in die Zelle gestellt hatten, hatte er den bitteren, widerlichen Geschmack erkannt. Wie raffiniert sie doch waren! Doch er war schlauer.
    Seine
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