Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
1. Kapitel
     
    Das Landesgendarmeriekommando im dritten Wiener Gemeindebezirk sah aus wie eine abgemusterte Kaserne. Der düstere Koloss wuchs mit rotbraunen Ziegeln und vergitterten Fenstern aus dem Beton der Stadt. In dem alten Gemäuer befanden sich seit Jahren die Büros der Kriminalabteilung für Niederösterreich. Winzig prangte das Emblem des Morddezernats auf der klobigen Holztür.
    Die Menschen liefen unter ihren Schirmen versteckt daran vorbei, durch die Pfützen zum nächsten Taxistand, zu den Linienbussen und Straßenbahnen, von deren Oberleitung Funkenbögen in den grauen Himmel schossen. Seit Tagen hingen schwarze Regenwolken über der Stadt, es goss ohne Unterlass. Auf einen milden Altweibersommer wagte niemand mehr zu hoffen, zu kalt und nass war das Wochenende verklungen und hatte die neue Woche begonnen … und für Alexander Körner begann die düsterste von allen.
     
    Körner warf sich den nassen Mantel über den Arm. Wie ein schneidiger Wolf zog er durch die dritte Etage des Landesgendarmeriekommandos. Hier roch es nach Kalk, feuchtem Holz und eisiger Kälte. Das Quietschen seiner Schuhe hallte im Treppenhaus wider. Wie er diesen Weg hasste! Es war wie der Gang zum Scharfrichter - falsch, es war der Gang zum Scharfrichter.
    Die letzten Tage hatten an seinen Nerven gezerrt. Er hatte zu wenig gegessen, zu viel gearbeitet und war abgemagert. Seine Hose flatterte an den Knien und wurde lediglich durch den eng gezogenen Gürtel gehalten. Daran änderte nicht einmal der schwarze Pullover etwas, den er sich in den Hosenbund gestopft hatte. Um seine miserable Erscheinung wettzumachen, war er frisch geduscht und rasiert, immerhin musste er einen guten Eindruck machen, bei dem, was auf ihn zukam. Im Lauf des gestrigen Abends hatte er sein Leben und seine Karriere verpatzt, mit einer Panne, die nicht einmal einem Anfänger passieren durfte - und schon gar nicht ihm.
    Hastig blickte er auf die große Wanduhr über dem Eingang des Reviers: 8.25 Uhr. Er war spät dran. Die Kollegen vom Morddezernat hatten die Einsatzbesprechung bestimmt schon hinter sich. Jetzt konnten sie sich auf ihn konzentrieren. Gleich würden sie wie blutrünstige Hyänen über ihn herfallen und an seiner Seele nagen. Körner nestelte am Sakko, stopfte die Hand in die Hosentasche und stieß die Tür auf. Im Büro roch es nach Kaffee und Zigaretten.
    »Da ist er«, flüsterte jemand, danach war es augenblicklich still. Nur ein Funkgerät knackte. Schwaiger und Kretschmer waren über Schubladen gebeugt und schauten auf, Breitner legte das Schulterholster an, Sedlak schob einen Stapel Akten zusammen … im selben Moment hielten sie in der Bewegung inne und starrten ihn an.
    »Na, Körner, hast du deine Glock dabei?«
    Verhaltenes Raunen!
    »Oder kann man deine Knarre schon am Schwarzmarkt kaufen?«
    Schon ging es los! Er ignorierte die Kommentare und ging grußlos zwischen den Schreibtischen hindurch, am Kopiergerät und an den Flipcharts vorbei. Einige Beamte wichen seinem Blick aus, doch gab es andere, für die er leichte Beute war und die sich keine Gelegenheit entgehen ließen, auf ihn loszuhacken. Kretschmer war einer von ihnen.
    »Streckst du neuerdings alle deine Verdächtigen mit einem Handkantenschlag nieder, Körner?«
    »Wenn du deinen Partner loswerden willst, steckst du ihn am besten zu Körner ins Team, dort hat er gute Chancen, eine Kugel ins Bein zu bekommen.« Breitner zog den Holstergurt straff. Seine Worte klangen veralbernd, doch seine stechenden Augen sprachen einen anderen Ton. Wollte er ihn provozieren oder bloß Dampf ablassen?
    Körner wollte es nicht herausfinden. Er ließ die Hyänen hinter sich und ging auf Jutta Korens Büro zu. Erst als seine Hand auf der Klinke lag, fühlte er den kalten Schweiß seiner Finger. Mit den Beamten des eigenen Reviers auf Kriegsfuß zu stehen war schlimmer, als mit der Dienstmarke auf die Brust geheftet im Zellenblock für Schwerverbrecher zu stecken. Er merkte, wie er die Nerven verlor, dabei hatte der Psychoterror gerade erst begonnen.
    Er atmete tief durch und betrat das Büro seiner Vorgesetzten. Auch in diesem winzigen Raum mit den hohen Wänden roch es nach Holz und feuchtem Kalk, dazwischen lag der Duft von Damenparfum, eine angenehme Abwechslung in den Trakten dieser alten Kaserne. In den Regalen stapelten sich die Aktenordner, auf dem Schreibtisch standen drei Telefone, und an jedem klebten gelbe Spickzettel. An der Wand hingen die gerahmten Fotos von Korens Vorgängern.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher