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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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1
    »Was verstehst du von Kunst, Volk?«
    Maxim Abdullajew schleudert die Frage durch den Äther wie eine Axt.
    Ich presse mein Nokia-Handy ans Ohr. Klapperndes Geschirr, rempelnde Gäste und laute Stimmen liefern mir einen Vorwand, die Antwort auf seine Frage hinauszuzögern. »Warte kurz«, sage ich und gehe die Treppe hinunter zu meinem Tisch im Keller von Vadims Café in der Staraja Straße, von wo aus ich meine Geschäfte führe.
    Maxim könnte überall sein. Sein Hauptquartier liegt nur ein paar Straßen weiter, im Solsnetskaja-Viertel. Allerdings wechselt er seinen Arbeitsplatz wöchentlich, manchmal täglich, weshalb es unmöglich ist, sich ein genaues Bild davon zu machen, wo er gerade steckt oder was er tut.
    Als ich den Lärm hinter mir gelassen habe, sammle ich kurz meine Gedanken. »Kunst? Ich habe einen Master in Kunstgeschichte von der Universität Moskau.«
    Ich bin sicher, dass Maxim genug über mein Leben weiß, um den Sarkasmus darin mitzukriegen. Mutter tot, Vater verschwunden, spätsowjetische Armut und fünf Jahre Töten und Schlimmeres in Tschetschenien, all das hat erstaunlicherweise zu keiner Weltklasseausbildung geführt. Die Dinge, die ich gelernt habe, werden nicht an Universitäten gelehrt. Er stößt ein beunruhigendes kehliges Glucksen hervor. Ein Eisbär macht wahrscheinlich dasselbe Geräusch bevor er frisst.
    »Hör zu«, sagt er. »Du musst etwas für mich erledigen. Rede mit Gromow. Okay?«
    »Okay«, sage ich, als hätte ich eine Wahl, und Maxim legt auf.
     
    Zwei Stunden später, kurz vor Mitternacht, trampelt Gromow in mein Kellerbüro. Die Haut auf seinem kahlen Kopf und in seinem verschwollenen Gesicht hängt schlaff herunter wie das Fell eines Shar Pei. Die zu Schlitzen verengten Augen blicken verschlagen und nervös, aus gutem Grund. Hinter ihm lauert Valja versteckt zwischen den Regalen.
    »Hast du mit Maxim gesprochen?«, fragt er.
    Ich brumme bestätigend.
    Er fällt in einen gepolsterten Schreibtischstuhl, der ächzend unter seiner Masse verschwindet. Selbst die silbernen Rollfüße sind von den Falten seines Mantels verdeckt, in dem er eine Hand tief in einer Tasche vergraben hält. Er prahlt gern mit seinem verchromten 45er Peacemaker Colt, einer veralteten Kanone, die große Löcher hinterlässt. Eine gute Waffe für jemanden, dessen Job es ist, andere einzuschüchtern.
    »Ich hab ein geschäftliches Angebot«, beginnt er. »Maxim meint, du könntest mir dabei helfen.«
    »Ich arbeite mit niemandem zusammen.«
    Gromow weiß das. Schließlich ist diese Regel mit ein Grund für die Spannungen zwischen uns. »Klar, verstehe.«
    Mit seinen zerschrammten ledernen Motorradstiefeln wirbelt er den Stuhl herum und wirft einen Blick durch den Raum.
    Hier im Kellergeschoss gibt es nicht viel zu sehen: Schwarzer Schieferboden, Regalreihen, offene unbehandelte Holzbalken, verputzte Wände, an denen hier und da der rote Ziegel durchkommt, verstaubte Spielautomaten aus den Sechzigern. Ich weiß, Gromow sucht Valja, aber solange sie es nicht will, wird er sie nicht zu sehen bekommen. Er beendet seine Inspektion und grinst durch seine krummen gelben Zähne, die vom ewigen Tabakkauen schwarze Schlieren haben.
    »Vielleicht solltest du aber mit mir zusammenarbeiten.«
    »Sag, was du zu sagen hast.« Ich zeige auf den leeren Tisch vor mir. »Ich habe zu tun.«
    »Verstehst du was von Diamanten?«
    »Maxim sagt Kunst, du sagst Diamanten. Was ist es denn nun?«
    »Dasselbe, Arschloch.«
    Als er ruckartig die Hand aus der Manteltasche zieht, steht plötzlich Valja hinter ihm und richtet den kurzen Lauf einer Mossberg Kaliber 12 mit Pistolengriff auf seinen rasierten Schädel. Aber statt seinen Revolver zu ziehen, wirft er mir einen kristallenen Quader zu, der funkelnd durch die Luft wirbelt, bevor er in meine Hand klatscht.
    Valja zieht sich zurück.
    Gromow lehnt sich zurück, selbstgefällig die Nähe des Todes ignorierend, während ich meinen Fang begutachte. Der Stein ist etwa einen Zentimeter dick und drei Zentimeter lang. Das eine Ende ist abgebrochen und am Schliff zersplittert. In die flachen Seiten sind unlesbare Inschriften geätzt. Soviel ich weiß, handelt es sich dabei um Namen in persischer Schrift. Ich werfe den Stein zurück. Er fängt ihn mit sicherem Griff.
    »Du bist ein Idiot, Gromow.«
    Seine Kaumuskeln sind so kräftig, dass sich sein Gesicht zu einer Pyramide verformt, wenn er die Zähne zusammenpresst. »Halt’s Maul.«
    Ich zeige auf seine Hand. »Das ist eine
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