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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Ellenbogen ab.
    Er befand sich im Einzelzimmer eines Krankenhauses. Die Zimmertür war geschlossen. In der rechten oberen Ecke hing ein kleines Fernsehgerät an der Wand, darunter ein Handwaschbecken, daneben standen ein Spind und ein Stuhl. Körners Kleider waren nirgends zu sehen. Er selbst trug ein weißes Baumwollhemd. Das Licht der Deckenlampe spiegelte sich im Fenster. Draußen herrschte stockfinstere Nacht. Ab und zu drang Autolärm durch das Fenster, worauf ein Scheinwerferlicht über die Scheibe huschte.
    Körner versuchte sich zu konzentrieren. Ihm fehlte jede Ahnung, wie er hierhin gekommen war. Wo steckte Verena? Das letzte, woran er sich erinnerte, waren Boote, die durchs Wasser trieben, und Helikopter, die jeden Winkel unter den Hausdächern ausleuchteten. Mit Militärhubschraubern wurden gebrechliche und verletzte Menschen über Seilwinden und Tragen aus dem Hochwasser geborgen. Als die Rotorblätter das Wasser rund um das Dach der Gaslight Bar aufpeitschten und das Knattern zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll, landete eine Strickleiter vor Körners Beinen.
    Sind Sie verletzt? Die metallisch klingende Stimme aus einem Megafon war in dem Lärm kaum zu verstehen gewesen.
    Während des Helikopterflugs saß seine Tochter ihm gegenüber, zwischen einem Arzt und einer Helferin. Als die Mediziner den tiefen Schnitt in seinem Handballen bemerkten, wurde ihm sogleich eine Injektion in den Oberarm gejagt. Unmittelbar darauf musste er eingeschlafen sein.
    Im Moment konnte Kömer keinen einzigen Finger der verletzten Hand bewegen. Er zog die Hand unter der Bettdecke hervor, in der Hoffnung, dass sie vollkommen heil und das Erlebnis der letzten Tage nur ein böser Traum gewesen sei. Doch die weiße Mullbinde, die seine Hand vollständig umhüllte, war real. Genauso real wie der Kampf gegen die Kreatur aus dem Greiner Bergwerk. Erneut war Körner dem Gezücht Pater Dorns nur knapp entkommen, wie bereits in seiner Kindheit, als ihn seine Tante kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag nach Wien geholt hatte. Falls das Schicksal es gut meinte, war der Schrecken nun zu Ende.
    Mühsam zog sich Körner hoch. Sein Oberkörper steckte in einem Korsett. Offensichtlich waren einige Rippen angeknackst. Jeder Atemzug versetzte ihm einen empfindlichen Stich. Er erinnerte sich an die Fausthiebe des Metzgers, während Doktor Weber ihn mit Tritten auf dem Boden gehalten hatte. Um den Doktor aus Grein brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Seine Leiche trieb irgendwo im Wasser, wahrscheinlich verkohlt.
    Beschwerlich schob Körner die Beine aus dem Bett. Als er keuchend am Bettrand saß, die nackten Füße auf dem kalten PVC-Boden, blickte er direkt auf das Fenster, worin sich jedoch nur sein Spiegelbild vor der Nachtschwärze abzeichnete. Behutsam tastete er sich über Kinn und Wangen. Die Bartstoppeln waren nicht wesentlich länger als zu seiner Zeit in Grein. Bestimmt war jetzt die Nacht von Freitag auf Samstag.
    Da hallte fernes Schuheklappern durch einen Gang jenseits des Zimmers. Unmittelbar vor seiner Tür erstarb das Geräusch. Verhaltenes Stimmengemurmel. Als es verstummte, wurde die Tür aufgezogen. Eine Krankenschwester um die vierzig, im weißen Kittel, mit hoch gesteckten Haaren und einer Lesebrille trat ein.
    »Oh, wie ich sehe, sind Sie munter. Ausgeschlafen?« Die Schwester sprach mit einem starken steirischen Akzent. Sie marschierte durch den Raum und zog die Vorhänge vor das Fenster. Das schrille Gleiten der Metallringe schmerzte in Körners Kopf.
    »Wo ist meine Tochter?« Körners Stimme versagte. Ein rauer Geschmack saß in seinem Rachen, als kündige sich eine Grippe an. Bei jedem Versuch zu schlucken, verkrampfte sein Hals.
    »Das Mädchen, das bei Ihnen war?« Die Schwester baute sich vor Körner auf, drückte ihn sanft ins Bett zurück, und zog ihm die Decke bis zum Hals.
    Er wehrte sich kraftlos.
    »Schön liegen bleiben!« Die Schwester deutete auf das Tablett, welches neben dem Bett auf einem Beitisch stand.
    Körner sah sich angewidert um. Im Moment hatte er keinen Appetit auf Orangensaft oder geruchloses Fleisch mit Nudeln und Soße.
    »Sie stehen nur auf, um das hier zu essen! Haben wir uns verstanden?« Die Schwester zeigte eine strenge Miene.
    Körner wusste nicht, ob sie es Ernst meinte oder bloß einen Scherz mit ihm trieb. »Meine Tochter«, erinnerte er sie.
    »Das Mädchen steht unter schwerem Schock. Sie wurde in ein anderes Krankenhaus eingeliefert.«
    »Wo bin ich?«
    »In der

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