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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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wie er selbst. Da wurden die Erinnerungen an seine Kindheit wieder lebendig. Die verdammten Albträume - neuerlich Wirklichkeit geworden! Als er vor der Hitze die Augen schließen musste, erinnerte er sich nur zu deutlich wie die Hand seiner Mutter aus dem Feuer geragt hatte, wie sie bei lebendigem Leibe verbrannt war und sie ihn mit Worten zum Teufel gejagt hatte, weil er nicht loslassen wollte. Damals war sein Arm bis zur Schulter versengt worden, bis der Schmerz so unerträglich wurde, dass er rücklings aus der Küche taumelte. Doch diesmal würde niemand im Feuer sterben, der ihm nahe stand - dieses Mal nicht! Seine Tochter war in Sicherheit. Aber etwas anderes würde an diesem Tag sterben. Hunderte Grade Hitze sollten das Wesen zum Brennen bringen, es zu einem kläglichen Haufen verkohlen lassen.
    Körner stand inmitten des Flammenmeers und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben frei. Als die Hitze seinen nassen Pullover trocknete, spürte er, dass er nicht mehr fror. Er streckte die Arme von sich, ballte die verletzte Hand zur Faust, stieß einen Jubelschrei aus. Da schossen aus der Tiefe Dutzende Fangarme mit einem schmatzenden Geräusch an die Luft. Körner zuckte zurück, doch kamen sie ihm nicht zu nahe. Verzweifelt wanden sie sich in den Flammen, als gierten sie nach Sauerstoff.
    Verena kauerte an der Schornsteinmauer, die Hände vor dem Gesicht, zwischen den Fingern hindurchblinzelnd. »Woher kommen die?«
    Körner antwortete nicht. Fasziniert starrte er auf die panisch rasenden Arme, die wie Peitschenschnüre so lange im Feuermeer tanzten, bis einer nach dem anderen versengt wurde. Wie groß musste die Kreatur sein, damit sie mit ihren Fangarmen ein derartiges Ausmaß erreichen konnte? Schließlich gab es in Heidenhof und Grein keinen Winkel, den sie nicht erreichen konnte. Auch diesmal war es Körner unmöglich, die Teile der Kreatur genau zu erkennen, da die Luft um die Fangarme vor Hitze flirrte, doch glaubte er, Krusten und hornartige Stacheln zu sehen.
    »Verbrenne endlich!«
    Im Knistern der Flammen vernahm er ein sirrendes Geräusch, das sein Trommelfell zu sprengen drohte. Die Teile des Gezüchts ragten wie schmelzende Kerzen aus dem Feuer. Sie veränderten ihre Form, zerfielen zu Tropfen, wobei ihre Umgebung sich krümmte, als biege sich der Raum zu einem Trichter, zu einem Strudel, der alles in sich einsog. Körner spürte die Schmerzen in der Hand gar nicht mehr, die Qualen in seinem Kopf waren um ein Vielfaches stärker. Er meinte, den Todeskampf des Gezüchts mitzuerleben, die letzten Minuten eines gigantischen Wesens zu spüren, dessen mit Chlor und Cadmium voll gepumpten Fangarme zerplatzten, dessen Tentakel im Öl verbrannten, und dessen gewaltiger unterirdischer Leib in den Fluten ertrank.
    Körner nahm Verena in den Arm, um sie zu beruhigen. Über ihren Kopf hinweg starrte er gebannt ins Feuer. Die schwarz verkohlten Enden zuckten durch die Flammen, bäumten sich auf und fielen kraftlos ins Wasser, wo sie verschwanden. Zurück blieben die Flammen, die wie Irrlichter über den Ölteppich geisterten. Der Anblick hatte etwas Beruhigendes. Er erinnerte Körner nicht länger an den Tod seiner Mutter, an die Urängste seiner Kindheit - diesmal bedeutete er den Tod des Gezüchts!
    Sein Blick schweifte lange über die Landschaft. Nur noch an wenigen Stellen loderten die Flammen empor. Mittlerweile trieben lediglich einige schwarze Fetzen an der Oberfläche, wie aufgequollene, riesenhafte Fahrradschläuche. Zunächst hörte Körner das Knattern gar nicht, doch dann starrte er zum Himmel, wo das Geräusch vom Wind über den Ort getragen wurde.
    Mehrere Helikopter kreisten über dem Hochwassergebiet. Nicht nur der Katastrophen-Hilfsdienst war im Einsatz, auch Verkehrshubschrauber, die Helikopter des Roten Kreuzes und der gelbe Christophorus des OAMTC. In diesem Augenblick musste sich alles, was sich in der kurzen Zeit hatte auftreiben lassen, im Himmel über Grein befinden.
     
    34. Kapitel
     
    Als Körner die Augen aufschlug, starrte er auf eine weiße Zimmerwand. Er versuchte, sich zu bewegen. Ein Kissen sowie eine Decke raschelten leise. Er lag in einem weichen Bett, umgeben vom Duft frischer Laken. Seine Beine schmerzten, jeder einzelne Muskel sandte Feuer durch seine Nervenbahnen. Überhaupt fühlte sich sein gesamter Körper an, als habe man ihm jeden Knochen gebrochen. Obwohl seine Rippen schon beim bloßen Luftholen schmerzten, richtete er sich halb auf und stützte sich mit dem
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