Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rangun

Rangun

Titel: Rangun
Autoren: Christine Monson
Vom Netzwerk:
KAPITEL 1
Geächtet in Boston
    Ewige Seele des ungefesselten Geistes!
    Am strahlendsten in Kerkern, Freiheit!
    GEORGE GORDON, LORD BYRON
    Das Funkeln im Blick der jungen Amerikanerin ließ Schlimmes ahnen, als sie die schläfrigen Kais von Rangun scharf musterte. Harry Armistead hatte dieses unerschrockene Glitzern in Marseille gesehen, wo sie den Kabinenjungen des Schiffes dazu überredet hatte, mit ihr zum Schlittschuhlaufen zu gehen, und in Kairo, wo sie die listige Wette ihres Fremdenführers angenommen hatte und die Große Pyramide in weniger als vier Minuten hochgestürmt war; und im Heiligen Land, wo sie respektlos verkündet hatte: »Mr. Twain hat recht. Ich glaube nicht, daß es Josua war, sondern eine Horde diebischer Pilger, die Jericho auf der Jagd nach Souvenirs eingeebnet haben.«
    In Calais, wo sie und ihr Vater an Bord des britischen Dampfers Robert Sydney gekommen waren, hatte Armistead dem Paar nur wenig Beachtung geschenkt, als es zum Fuß der Gangway gelaufen kam. Während er an die Heckreling gelehnt stand, bemerkte er, daß die junge Frau ebenso groß wie ihr Begleiter war. Der Zahlmeister hatte eine gewölbte Hand vor seinen Mund gehoben, wobei seine Augen verärgert auf das schäbige Paar gerichtet waren, das dort, die Rücken dem beißenden Wind zugewandt, fror. »Sie müssen wohl Dr. John Herriott sein« - sein Blick fiel auf die Passagierliste, die auf seine Tafel geklemmt war - »und Tochter. Wir wollten schon ohne Sie den Anker lichten.«
    »Ich gehe wohl recht in der Annahme, daß wir die letzten sind, die an Bord gehen, Sir«, erwiderte der ältere Mann liebenswürdig. »Schön, daß wir aus dieser Kälte wegkommen. Könnten Sie einen Mann schicken, der sich um unser Gepäck kümmert?«
    Mit einem spöttischen Blick auf ihre alte Gladstone Reisetasche und zwei abgewetzte Handkoffer spuckte der Zahlmeister kurz in das schmutzige Wasser am Kai. »Ist das alles? Ist nich' genug, um einen Mann aus dem...«
    Die junge Frau unterbrach ihn mit einer Stimme, die so klar und kalt wie eine Kirchenglocke aus Neu England war. »Dann werden Sie und mein Vater mit den dreien fertig. Ich werde mit dem Überseekoffer an Bord gehen.« Sie trat beiseite, ihren Blick auf ein häßliches Ungetüm gerichtet, das das Gepäck vervollständigte.
    Der Zahlmeister schob leicht errötend seinen Priem in den anderen Mundwinkel. »Nicht doch, Ma'am. Ich kümmere mich darum.« Er winkte einen Matrosen auf den Kai.
    Harry Armistead, belustigt über Miss Herriotts streitbares Verhalten, schlenderte die Gangway hinunter und lüftete vor den Amerikanern seinen Hut. »Ich bin Leutnant Harry Armistead von den Coldstream Guards Ihrer Majestät, kommandiert zu den Burma Seventeenth Lancers. Darf ich zu Diensten sein? Bei vergangenen Reisen habe ich zuweilen selbst mit meinem Gepäck Schwierigkeiten gehabt.«
    Die scharfen Augen des Doktors musterten ihn unter silbergrauen Brauen. Angesichts Harrys warmem Lächeln und der Ehrlichkeit, die er ausstrahlte, wurde der müde, etwas skeptische Gesichtsausdruck Dr. Herriotts etwas weicher. »Danke, Leutnant. Ich fürchte, meine Tochter und ich waren heute morgen von den Sehenswürdigkeiten Calais zu gefesselt, um an Bord zu gehen, als Gepäckträger da waren.« Der Doktor sah aus wie ein Mann, der die Schwächen seiner Mitmenschen rasch zu erkennen schien. Mitte fünfzig, war er selbst für einen Bewohner der nördlichen Sphäre blaß, doch bis auf seinen angespannten Gesichtsausdruck ein stattlicher Mann.
    Herriotts Tochter dagegen gab weniger her, abgesehen von den Augen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, glatter Haut und einem slawischen, ovalen Gesicht. Ihre Haut über den ausgeprägten Wangenknochen war vor Kälte gerötet. Ihre lange, schmale Nase war blau und an der Spitze feucht. Harry vermutete, daß ihr Haar, verborgen unter einem häßlichen Damenhütchen, braun war. Ihre Lippen waren fest aufeinander gepreßt, als ob sie daran gewöhnt sei, den Mund zu halten, sich aber nicht damit abgefunden habe. Sie war zu groß und ihre Gestalt unter ihrem Spenzer mit Kapuze mußte hager zu sein. Sein Blick wanderte kurz zu ihren unbehandschuhten, langfingrigen Händen, die so rauh und deren Nägel eingerissen waren, als ob sie Böden geschrubbt hätte. Sie trug nicht einmal eine Damentasche. Die zwanzig hat sie weit hinter sich, schätzte Harry, und wahrscheinlich wird sie keinen Mann bekommen, nicht einmal in Birma.
    Seine Einschätzung bemerkend, musterten ihn kühle,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher