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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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Zwi und David. Gesegnet seist du, Miriam.«
    Sie war eine scheue, kleine Frau, und sie berührte nur mit den Fingerspitzen Maria Christinas Hand. »Du bist uns willkommen, und unser Heim ist auch dein Heim«, flüsterte sie.
    Avram sah ihr liebevoll nach, als sie hinaushuschte. »Nun wird sie die Küche auf den Kopf stellen. Mach dich darauf gefaßt, daß du diese Nacht vor Bauchgrimmen keine Ruhe finden wirst, denn meine Miriam wird dir alle Leckereien, die sie nur herbeizaubern kann, vorsetzen, und wehe, wenn du nicht genug ißt. Dann wird sie wehklagen und ebenfalls keine Ruhe finden, und dann muß ich sie die ganze Nacht über trösten.« Er lachte, und sein ganzes Gesicht überzog sich mit einer Unzahl von Runzeln und Fältchen.
    Als Maria Christina ihn als Kind zuletzt gesehen hatte, war er kaum kleiner gewesen als ihr Vater, und er hatte ebenso schwarzglänzendes Haar gehabt wie jetzt seine Söhne. Aber nun war Avrams Haar weiß, und seine Gestalt schien geschrumpft, und doch wirkte er lebendig und fröhlich wie kein Mensch, dem Maria Christina in den letzten Jahren begegnet war.
    »Warum bist du so fröhlich?« fragte sie.
    Er lachte sie an. »Warum sollte ich es nicht sein? Schau, ich habe meinen Glauben, ich habe eine gute Frau und gute Söhne. Und die Unbill des Krieges? Wenn du das meinst – unser Volk hat so viele Kriege und Verfolgungen und Zerstörungen überstanden, warum sollten die Meinen und ich diesen Bruderkrieg nicht überstehen? Ich gebe zu, er ist grausam und entsetzlich, doch einmal wird er enden. Alles Böse endet einmal. Aber nun trink einen Schluck Wein, damit Farbe in deine Wangen kommt und Glanz in deine Augen, und laß uns fröhlich sein, weil dein Weg dich zu uns geführt hat, Maria Christina.«
    Beim Abendbrot waren auch Avrams Söhne zugegen, David und Zwi, und nun wirkten sie nicht mehr förmlich und steif, sondern ebenso lebendig wie ihr Vater.
    Avram sprach das Tischgebet auf Hebräisch, und seine Söhne redeten ihn in derselben Sprache zärtlich an mit Aba. Maria Christina behandelten sie wie eine lang verlorengeglaubte und nun heimgekehrte Schwester.
    Die beiden Jungen, der eine sechzehn, der andere vierzehn, nötigten sie, wie ihre Mutter, kräftig dem Essen zuzusprechen. Sie legten ihr die zartesten Bissen eines Hühnerragouts vor, die zartesten Lauchstengel, die mit einer Essig-und-Öl-Soße beträufelt wurden. Zum Nachtisch gab es eine süße Weinschaumcreme.
    Avram schwärmte von seiner Jugend auf der Finca. Wie sie wilde Kaninchen fingen und über dem offenen Feuer rösteten und sie mit Salbei und Rosmarin würzten, die gleich an den Wegrändern wuchsen. Und von wildem Spargel und wildem Lauch und Knoblauch, was ihnen zu Brot und Öl besser schmeckte als der beste Schinken.
    »Avram«, sagte seine Frau leise, aber zurechtweisend.
    Er lachte nur. »Niemand hat verboten, daß man das Wort Schinken oder Schwein ausspricht, meine Liebe, nur essen dürfen wir es eben nicht.«
    Später wollte Maria Christina ihrer Tante beim Aufräumen und Spülen helfen, aber Miriam wehrte beinahe erschreckt ab. »Mein liebes Kind, du könntest dich vertun und unversehens dieses Geschirr zu dem stellen, das wir nur zum ›milchigen Essen‹ benutzen.«
    Und wieder schmunzelte Avram und erklärte: »Siehst du, Maria Christina, unser Glaube regelt sogar die einfachsten täglichen Verrichtungen. Wir haben heute abend ein fleischliches Mahl zu uns genommen. Du wirst bemerkt haben, daß Miriam zum Beispiel keine Butter aufgetragen hat und keine Milch zum Kaffee. An anderen Tagen essen wir milchig, was wiederum bedeutet, daß kein Fleisch in der Speisenfolge enthalten sein darf, denn so heißt es in unseren Schriften: ›Du sollst das Lamm nicht in der Milch seiner Mutter zubereiten.‹ Und da dies so ist, besitzt Miriam zwei verschiedene Küchenschränke. In dem einen wird das Porzellan für die fleischigen Speisen verwahrt, in dem anderen das für die milchigen. Das gleiche gilt für Töpfe und Pfannen und Besteck. Würden nun diese Dinge untereinander verwechselt, so wären sie sofort unkoscher, das heißt unrein, und wir müßten den Rabbi bitten, sie für uns wieder zu reinigen.«
    »Aber ist das nicht schrecklich kompliziert?«
    »Wir beide sind in unseren Glauben zurückgekehrt, als wir schon erwachsene Menschen waren, und daher beachten wir alle seine Vorschriften.« Avram sah seine Frau zärtlich an. »Während Miriam darauf achtet, daß unsere alltäglichen Vorschriften eingehalten
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