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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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werden, bemühe ich mich, es in Glaubensdingen zu tun.«
    »Bitte, erzähl mir, wie es bei euch dazu kam«, sagte Maria Christina.
    »Es ist eine lange Geschichte, und ich werde sie dir erzählen, aber vorerst möchte ich von der Heimat hören, von meinem Córdoba.« Avrams Augen leuchteten auf, als er den Namen seiner Geburtsstadt aussprach. »Ist es nicht seltsam, daß ich als Jude jetzt in einer der heiligen Städte des christlichen Mittelalters lebe, während früher die klügsten Geister der jüdischen Welt, wie der große Maimonides, in Córdoba gelebt und gelehrt haben? Aber ich konnte nicht in meiner Heimatstadt bleiben. Die Familie empfand es als Schmach, daß ich dem Katholizismus den Rücken zukehrte, als ich während meines Studiums erkannte, wer mein wahrer Gott ist. Doch genug davon. Komm, Kind, und erzähle.«
    Und sie erzählte.
    Alles. Sie ließ nichts aus, nicht Juans Flucht nach dem Tod seines Rivalen, nicht ihre ersten Wochen im Kloster, nicht das langsame Hineingleiten in die Abgeschiedenheit und in den fast betäubenden Rhythmus von Arbeit, Gebet und Kasteiung. Sie erzählte auch, wie das Kloster von den Nacionales besetzt, dann von den Internacionales erobert und schließlich von den Marokkanern gebrandschatzt wurde.
    Sie erzählte von Brenski. Ihre Stimme gehorchte ihr kaum, aber sie sprach entschlossen weiter.
    »Ich erwarte ein Kind von ihm. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt, aber wenn er noch lebt, dann kommt er hierher. Dessen bin ich sicher.«
    Sie erzählte von der Flucht, vom Blockhaus, von Mama Elena, von El Corazón, von der furchtbaren Nacht, als die Tiere kamen. »… Manntiere«, sagte sie.
    Sie senkte den Kopf. Es war so still im Zimmer, daß man das Läuten der Kirchenglocken zur neunten Stunde hören konnte.
    Und weiter, sie berichtete alles, alles.
    Erst nach Mitternacht war sie zu Ende mit ihrer Erzählung, war ausgedörrt – und doch gereinigt.
    »Ich danke dir, daß du zugehört hast, Onkel Avram.«
    Er strich über ihre Hände. »Komm, geh jetzt ins Bett, mein Kind. Laß mich nachdenken, denn es ist fast zu viel, was du einem alten Mann erzählt hast, fast zu viel zu tragen für ein Mädchen, das du schließlich bist. Aber ich kann dir eines sagen, Gott liebt dich, denn sonst hätte Er dich nicht nach hier kommen lassen. Und dein Brenski lebt, glaube es mir.«
    Sie begann zu weinen, und in den Armen des alten Mannes, der sie hielt, wie ihr Vater sie als Kind gehalten hatte, fand sie Trost.
    In dieser Nacht konnte sie schlafen. Traumlos und erfüllt von neuer Hoffnung.

31.
    Jeden Tag kam der Arzt, jeden Tag zeigte er sein besorgtes Gesicht, und jeden Tag saß die alte Frau neben Brenski und wischte ihm mit einem feuchten, kühlen Tuch den Fieberschweiß von der Stirn.
    »Er gehört ins Krankenhaus«, sagte der Arzt.
    »Er kann nicht ins Krankenhaus«, sagte die alte Frau, »dann können wir ihn auch gleich hier sterben lassen. Er war bei den Internationalen Brigaden, und man würde ihn umbringen wie einen tollwütigen Hund. Ich kenne doch das reaktionäre Pack. Doktor Jemino, der Chefarzt des Hospitals der Kleinen Nonnen, ist ein Faschist, ein Chauvinist.«
    »Schschsch«, machte Dr. Amorgos.
    Und die Alte war wieder still.
    Unten strich ihr Sohn herum, mit wilden Augen, ein gehetztes Tier, das sich genauso verstecken mußte wie Brenski, denn er hatte bei den Republikanern gekämpft, in Bilbao. Als alles aussichtslos wurde, hatte er sich durch die Front geschlagen und war nach Hause zurückgekehrt.
    »Ich bringe Brenski nach Santiago«, sagte er immer wieder. »Das bin ich einem Kampfgefährten schuldig.«
    »Sí, sí«, antwortete die Alte nur und dachte: Sei froh, daß du keinen Meter vom Hof runter brauchst, mein Juanito, mein Junge. Denn draußen, da warten die Wölfe.
    »Er hat Dynamitpatronen in seiner Tasche«, flüsterte Juanito mit glänzenden Augen. »Drei davon würden genügen, um das Stabsquartier in Casañera in die Luft zu sprengen.«
    »Sí, sí«, sagte Doña Clara, »aber du wirst nichts dergleichen tun. Denn wozu bist du nach Hause gekommen? Damit ich mit einem Leichnam lebe? Ist es nicht genug, daß dein Vater beim großen Streik in Bilbao von der verfluchten Polizei erschossen wurde? Ist es nicht genug, daß dein Onkel Henrico in der Kohlengrube von einer Schaufel erschlagen wurde, die einem anderen Arbeiter ganz zufällig aus der Hand fiel, einem Falangisten? Sísí, du wirst Dynamit nehmen und uns in die Luft sprengen. Nun gut, aber laß
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