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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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ihrerseits bat, doch mehr zu nehmen, deutete er scheu auf ihr Herz und dann ihren Leib.
    Sie lachte. »Du hast es gemerkt, daß ich ein Kind bekomme? Aber stimmt es wirklich, daß man für zwei essen soll?«
    Er nickte heftig.
    »Aber man sieht mir doch noch gar nichts an? Nicht unter dem weiten Rock!«
    Mit Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand berührte er sacht ihre Augen- und Mundwinkel.
    »In meinem Gesicht also?«
    Er nickte heftiger.
    »Hast du auch eine Frau, Carlos?« Sie mochte keine Namensverniedlichungen.
    Er bewegte verneinend den Kopf. Dann kratzte er mit seiner rechten Hand ein wenig Erde auf, strich sie wieder glatt.
    »Deine Frau ist tot?«
    Er sah sie nur an.
    »Das tut mir leid, wirklich, Carlos.«
    Er nickte, die langen Lider senkten sich über die Augen.
    »Aber du hast doch sicher Kinder?«
    Erst hob er zwei Finger, dann machte er die gleiche Gebärde des Erdeaufscharrens und wieder Glattstreichens.
    »Es tut mir sehr leid, Carlos, sehr, sehr leid.«
    Wieder nickte Carlito nur, aber er sah sie dabei an, und das scheue Lächeln huschte um seine Augen, und er legte die Hände ineinander, bewegte sie leicht auf und nieder, als wollte er ihr danken.
    Nach einer Weile fuhren sie weiter, und wieder war der Nachmittag friedlich und wurde nur dann gestört, wenn Soldaten in Sicht kamen.
    Am Abend fanden sie eine stille Herberge, etwas abseits der Straße, wo sie auch ein sauberes Zimmer für Maria Christina bekamen. Carlito schlief im Wagen. Er deutete an, daß ihm dies sowieso lieber sei, weil er so das kostbare Fahrzeug bewachen konnte. Diesmal nicht mehr lächelnd, sondern ein wenig grinsend, so kam es Maria Christina wenigstens vor, zeigte er ihr, halb versteckt, einen Revolver und einen Waffenschein. Er machte mit Zeigefinger und Daumen die Bewegung des Schießens, und Maria spürte, wie sie zu zittern begann. Er bemerkte es und kehrte in stummer Entschuldigung die Handflächen nach außen.
    Die Nacht verlief ereignislos, bis auf die Tatsache, daß Maria Christina kaum Schlaf fand. Zu sehr glich diese Herberge dem Gasthof bei Madrid, wo sie vor drei Jahren übernachtet hatten, als Maria Teresa ihre Tochter ins Kloster Santa Maria de la Sierra brachte.
    Schon in aller Morgenfrühe weckte sie Carlito, der zusammengerollt auf dem Rücksitz des Wagens lag, und nach einem hastigen Frühstück fuhren sie weiter. Ungeduldig verfolgte Maria Christina, wie der Wagen, jetzt auf ausgebesserten Straßen, die schon lange keinen Krieg mehr kannten, schneller und schneller die Kilometer nach Westen herunterspulte.
    Am späten Nachmittag erreichten sie schließlich Santiago de Compostela. Carlito hielt den Wagen vor einem großen Hotel an, aus dessen Portal strahlender Lichtschein von Kristallüstern nach draußen fiel. Carlito stieg aus, ging mit der ihm eigenen Würde um den Wagen herum und öffnete Maria Christina die Tür.
    Während sie auf dem Bürgersteig stand und sich umsah, begann es zu regnen. Ein weicher, grauer Nebel wob sich vor das mittelalterliche Santiago mit seinen kopfsteingepflasterten, engen Gassen, den hohen Häusern, deren obere Stockwerke weit ausladend und auf steinernen Säulen ruhend Arkaden bildeten.
    Sie war nur einmal hier gewesen, als Kind, noch vor ihrer ersten heiligen Kommunion und – wie sie heute wußte – heimlich, mit ihrem Vater, um seinen Halbbruder Avram zu besuchen, der als junger Theologiestudent aus der katholischen Kirche ausgetreten war und sich dem Judaismus zugewandt hatte, denn seine Mutter – die erste, früh verstorbene Frau von Sebastians Vater – war eine Jüdin aus Avila gewesen. Wer als der Sohn einer Jüdin geboren wird, ist und bleibt Jude, so hatte Onkel Avram es ihnen erklärt.
    Sie wußte, daß Avram dort in einem der Häuser über den Arkaden wohnte, und sie wußte auch, daß er sie nicht erwartete, aber willkommen heißen würde.
    Carlito hatte nun ihren Koffer aus dem Wagen gehoben und einen kleinen Bastkorb mit Proviant.
    »Bitte, Carlito, nimm das mit für die Rückfahrt«, sagte sie, »du wirst es brauchen.«
    Aber er schüttelte nur mit seinem scheuen Lächeln den Kopf. Er küßte ihre Hand und ging dann mit diesen langsamen, würdigen Schritten zu der Limousine zurück.
    Maria Christina nahm ihr leichtes Gepäck auf und schritt in das Gewirr der Gassen der alten Stadt, und es war ihr, als trete sie in die kupfern und silbern schimmernde Welt des Orients ein.
    Aber hier wurden keine Geschmeide für Haremsdamen gefertigt, keine Juwelen
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