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Totenpech

Titel: Totenpech
Autoren: Tanja Pleva
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1. KAPITEL
    München   Alessio
saß seinem Geldgeber gegenüber, der ihn nicht aus den Augen ließ und
geflissentlich darauf bedacht war, dass er auch tatsächlich drei Mal auf dem
Mais herumkaute, bevor er ihn herunterschluckte.
    Sein Blick wanderte durch den Raum. Von außen konnte man nicht mal
im Entferntesten erahnen, was sich tatsächlich hinter den Mauern dieser Villa
verbarg, die versteckt von altem Baumbestand in einer der feinsten Gegenden im
Nordwesten Münchens lag.
    Weißer Laaser Marmor, auch bekannt als das Weiße Gold, zierte den
Boden, dicke sandfarbene Steinsäulen stützten die hohen Decken, und
Feuerfackeln erhellten den etwa zweihundert Quadratmeter großen Raum.
    Er sah hinauf zu den Köpfen mit den vielen toten Augenpaaren, die
ihn bei seinem Mahl an der großen vergoldeten Tafel zu beobachten schienen.
Eine Gänsehaut zog sich über Alessios Unterarme und richtete die feinen dunklen
Härchen auf.
    Morgen würde er wieder bei seiner Freundin in Rom sein, und dann
gehörte diese bizarre Szenerie der Vergangenheit an.
    Â»Sechs Mal kauen«, wies ihn sein Gegenüber an, dabei zeigte er auf
das Stück Rinderfilet, das Alessio sich gerade in den Mund schob.
    Seiner Freundin Emilia hatte er erzählt, dass er nach München zum
Oktoberfest fahre. Wenn sie wüsste, wie er sich sein Geld verdiente, würde sie
ihn ohne Zögern verlassen. So viel stand fest. Aber sie würde es nie erfahren,
wie auch. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen. Er schmunzelte bei dem
Gedanken über die Summe, die er morgen bar in seiner Hosentasche haben würde,
wofür andere mindestens vier Monate arbeiten mussten und die er hier ungefähr
alle sechs Wochen für so eine Sitzung bekam.
    Die kleinen Knopfaugen des Jachtmaklers folgten der letzten Gabel
Mais wie einem Flugzeug, das in den Wolken verschwindet. Er nickte zufrieden, lächelte
Alessio an und erhob sich aus seinem vergoldeten Thronsessel, dessen Armlehnen
in zwei Löwenköpfen endeten. Mit seinem weißen Gewand, das unter der Wölbung
des Bauches von einem schmalen Gürtel gehalten wurde, und seinen prähistorischen
Sandalen sah der Hausherr wie ein Statthalter aus dem alten Rom aus. Allerdings
nur, wenn man von seinen beiden Zöpfen, die er aus den spärlichen Resthaaren an
seinem Hinterkopf zu Knoten gedreht hatte, und seiner dicken Hornbrille absah.
    Alessio, ebenfalls in eine weiße Tunika gekleidet, folgte dem
älteren Mann, der einen Kopf kleiner war als er, durch den saalähnlichen Raum
zu einer steinernen Tür. Als diese sich automatisch zur Seite schob, gab sie
den Blick auf eine außergewöhnliche Badelandschaft frei. Ein blutrotes
Granitschwimmbad und eine lebensgroße Bronzestatue des Eigentümers selbst, die
auf dem Wasser zu schweben schien, zogen den Betrachter sofort in seinen Bann.
    An der einen Wand plätscherte Wasser wie bei einer versiegenden
Quelle hinab, an der anderen war ein Relief mythologischer Darstellungen in den
roten Sandstein gehauen worden, durch das sich Efeuranken schlängelten. Im
Mittelpunkt des Reliefs war eine große Festtafel zu sehen, an der verschiedene
römische Götter saßen. Rechts davon streckten schöne nackte Jünglinge bettelnd
ihre Hände in Richtung der Götter aus, zu deren Füßen Putten spielten und ein
bocksbeiniger Faun Weintrauben aß. Nur bei genauerem Hinsehen konnte man
erkennen, dass die Götter alle ein und dasselbe Gesicht hatten, nämlich das des
Villenbesitzers. Schwaden von Eukalyptusduft erfüllten den Raum und trieben im
ersten Moment Tränen in Alessios Augen.
    Der Hausherr entledigte sich seiner Tunika, unter der er nackt war,
und tauchte seine Fußspitze in das Schwimmbad, um sich auf die Temperatur des
Wassers einzustellen, das an die dreißig Grad betrug. Dann schritt er
elfengleich mit einem Lächeln auf den Lippen die Stufen in das Bad herunter,
bis ihm das Wasser bis zur Brust reichte. Aus unsichtbaren Lautsprechern ertönten
die Klänge Tschaikowskis. Alessios dicklicher Geldengel hob die Arme in die
Höhe, formte sie zu einem leichten Bogen, die Finger gespreizt, und tanzte
andeutungsweise den Schwanensee für seinen Zuschauer.
    Alessio hatte es sich auf einer Récamiere bequem gemacht. Genussvoll
schob er sich rote Weintrauben in den Mund, während der kahle Schädel des
Jachtmaklers im Schwimmbad auf und ab hüpfte wie eine
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