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Weltraumschwimmer

Weltraumschwimmer

Titel: Weltraumschwimmer
Autoren: Gordon R. Dickson
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1.
     
    Der Verfolger war ein riesiger Seeleopard, ein Bulle, der seine zwölf Zentner wild vor Wut gegen die Barriere warf, die er nicht sah und deren Beschaffenheit er nicht verstehen konnte. Er tobte in dem graugrünen Wasser unter dem Packeis herum, um an die Beute heranzukommen, die vor ihm geflohen war. Er befand sich nun in einem Teil des Wassers, wo die ungewöhnliche Warnung ihn schon mehrmals zum Umkehren gedrängt hatte. Doch das hatte er diesmal in der Hitze der Jagd vergessen. Seine flüchtende Beute war weder Ross- noch Weddellrobbe, kein Krabbenfresser, überhaupt kein ähnliches Tier – und auch kein Fisch, den er kannte. Sie war nur wenig kürzer als er, pelzlos und glatt und so grau wie der Sturmhimmel – und schneller als er.
    Es war ein Risso-Delphin, aber das wußte der Seeleopard nicht. Er wußte nur, daß dieses seltsame Tier nicht hierher in die Gewässer der Antarktis gehörte. Die einzigen anderen Wesen von seiner Größe, oder sogar noch größer, waren die Orcas, die Mörderwale der Antarktis, die Robben töteten, auch Seeleoparden, wie er einer war, so wie er kleineren Artgenossen und anderen Meerestieren auflauerte. Deshalb wußte er nicht, was dieses flinke Tier war, das so erfolgreich vor ihm floh. Vielleicht haßte er es gerade deshalb so und jagte es, um es zu töten.
    Fünf Jahre war es nun schon her, seit etwas Fremdes sich hier in der weißen Wildnis des Ross-Schelfs – in seinem Jagdrevier! – eingenistet und ihn davon ausgeschlossen hatte. Das schmerzte ihn zutiefst. Dieses flüchtende Tier zu zerreißen, sein salziges Blut zu spüren, würde seinen Schmerz ein wenig lindern. Und darum mußte er es unbedingt haben, und deshalb dachte er nicht an die Warnung, hier zu jagen.
    Der Risso-Delphin hatte keine Angst vor seinem Verfolger. Er wußte, daß er schneller war – und klüger, und stärker ebenfalls, wenn es zum Kampf kommen würde. Weshalb floh er dann? Er war sich nicht sicher. Ein Instinkt, etwas wie Pflichtbewußtsein, von dem der Seeleopard nichts wissen konnte, trieb ihn zu einem bestimmten Ort.
     
    Seit das Jahr sich geneigt hatte – das sechste von der Bombardierung der Burgheime gerechnet –, war der Sommer in der nördlichen Hemisphäre geschwunden, während der Frühling im Süden wuchs und jeder Tag ein bißchen länger hell war als der vorherige. Die antarktische Winternacht zog sich langsam über dem Packeis des Ross-Schelfs zurück, unter dem Johnny Joya nun schon seit sechsundfünfzig Tagen in einem dämmerigen, mit Fellteppichen ausgelegten Raum in einem ausgehöhlten Felsen saß. Sechsundfünfzig Tage lang kämpfte sein Geist bereits mit dem nun fertiggestellten Analog einer Welt, die sein Problem enthielt – das gleichzeitig auch das der Welt war.
    Es war ein verzweifelter, lautloser Kampf, wie der zweier Ringer, wenn keiner der Gegner einen Vorteil für sich gewinnen kann, obwohl er alles, was an Kraft in ihm steckt, einsetzt. Und so saß Johnny Joya auch an diesem sechsundfünfzigsten Tag des unentschiedenen Kampfes völlig still und unbewegt. Nur das schwache Heben und Senken seiner Brust verriet, daß er überhaupt noch lebte.
    Seine kräftigen Schwimmerbeine steckten bis zur Taille in der unteren Hälfte der schwarzen „Kaltwasserhaut“, wie das Meervolk den Anzug für die Tiefsee nannte. Um die Mitte, in der Düsternis kaum sichtbar, trug er ein rechteckiges Kästchen mit Metallschlaufen. Oberhalb der Taille war er unbekleidet, aber trotz der kaum 10° C seines Eisbergheims wies er keine Gänsehaut auf, noch fror er. Im schwachen Licht des kurzen Südpoltags, das durch die Eiskuppel hoch oben drang, wirkte seine Haut wie mondbeschienener Marmor.
    Selbst in dieser Düsternis war seine Kraft unverkennbar. Die mächtigen Brust- und Armmuskeln schienen sogar für einen der dritten Generation von Seegeborenen weit über dem Durchschnitt entwickelt zu sein. Seine Schultern waren ungewöhnlich breit, und die Magengegend war ein einziger konkaver Muskelwall.
    Die schweren Unterarme und die langfingrigen Hände ruhten entspannt auf den schwarzbekleideten Knien. Das Gesicht war dem dunklen Braungrau des Seehundfells unter den Füßen zugewandt. Die fast geraden Brauen waren dunkel wie das tiefbraune Haar. Die Nase war ebenfalls gerade, genau wie der Mund, das Kinn eckig. Die Augen wirkten dunkel in der ungeheuren Anspannung, und sie bewegten sich nicht.
    Der Geist hinter diesen Augen befand sich anderswo – im Analog. Sechs Jahre waren seit der
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