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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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zu Ketten und Ringen und Diademen gefügt. Sie sah unzählige Silber schmiede, die den Pilgern noch heute die Kammuschel, das Wahrzeichen des heiligen Jago oder Jakobus, feilboten, dazu Miniaturausgaben seines Schwertes und schließlich den Heiligen selbst, hoch zu Roß und mit gezücktem Schwert.
    Im Schein von Petroleum- und Öllampen hämmerten und ziselierten die Schmiede, flüssiges Silber rann in vorbereitete Formen. Die Gesichter der Männer mit den gebeugten Rücken über ihrer Arbeit waren rötlich erhitzt, und ihre Hände schienen in Wirklichkeit eine Unzahl kleiner Glocken zu bewegen, auch wenn man diese nicht sah; aber der Laut ihrer Arbeit fügte sich wie zu einem ewigen Glockenspiel zusammen.
    Ihr Vater hatte ihr eine Skizze des Weges mitgegeben, der sie zu ihrem Onkel führen sollte, und nach einigen Fragen, die höflich und ohne aufdringliche Neugier beantwortet wurden, erreichte sie sein Haus.
    Auch hier waren im ebenerdigen Gewölbe zwei junge Männer dabei, Silber zu schmieden. Doch sie unterschieden sich von allen anderen, die Maria Christina bisher beobachtet hatte. Sie waren blaß von Gesicht, und ihr fiel auf, daß der Abstand zwischen Haaransatz und dem Winkel der Augen ein sehr großer war, breite, blasse, blaudurchpulste Schläfen also, und ihre Stirnen waren hoch, und auf dem Haar trugen sie kleine, runde, schwarze Käppchen, die, wären sie nicht an den Rändern dünn mit Gold bestickt gewesen, sich aus dem schwarzen Lockengewirr gar nicht abgehoben hätten.
    Sie hoben ihre Gewichter, und auch ihre Augen waren anders, erfahrener, älter als ihre Jahre und von einer seltsamen, undeutbaren Traurigkeit erfüllt.
    »Buenos tardes«, sagte sie höflich. »Wo finde ich Señor Avram?«
    Die beiden jungen Männer verneigten sich ebenso höflich, gaben ihren Gruß zurück. Dann wechselten sie einige wenige Worte in einer Sprache, die Maria Christina nicht verstand. Der eine von ihnen erhob sich, nahm ihr mit den Worten »Sie erlauben, Señorita« ihr Gepäck ab und brachte sie in das erste Stockwerk des Hauses.
    Er führte sie einen kurzen Flur entlang, der in den hinteren Teil des Hauses führte; er zögerte vor einer Tür, hinter der deutlich eine Stimme zu hören war – wieder in der ihr unbekannten Sprache.
    Als der junge Mann schließlich anklopfte, war die fremdklingende Stimme verstummt und rief nun auf spanisch: »Herein!«
    Der Raum war groß und hoch und die Decke aus gefugten Steinen, deren Bögen sich oben in der Mitte zu einem sechszackigen Stern zusammenfanden, dem Stern Davids.
    Der Raum war spartanisch eingerichtet, Regale, gefüllt mit Büchern und Schriftrollen, verstellten fast nahtlos die Wände; an einem großen Schreibtisch saß eine kleine Gestalt, die sich bei Maria Christinas Eintritt aus einem hohen Lehnstuhl erhob.
    Mit leichten, beinahe tänzerischen Schritten kam Avram auf Maria Christina zu.
    »Wen bringst du mir da, Zwi?« fragte er.
    »Die Señorita Maria Christina de Valquez y Ortega, Ihre Nichte, Don Avram.«
    Ein Laut der Überraschung, wie ein kurzer Vogelruf, dann ein helles, freudiges Lächeln, und der alte Mann nahm ihre Hände und zog sie in das Licht der Öllampen auf seinem Schreibtisch.
    »Die kleine, groß gewordene Maria Christina! Mit dem roten Haar der Ortegas! Wie schön du geworden bist! Was für Nachrichten bringst du? Wie geht es meinem Bruder? Wie der Familie? Wie steht es in Córdoba?«
    »Vater läßt dich grüßen. Und der Familie geht es gut, denen, die noch davon übriggeblieben sind.«
    »Zwi, sei ein guter Junge und laß uns allein. Aber bitte deine Mutter, uns Wein zu bringen und etwas zu essen. Du mußt hungrig sein, Maria Christina. Und dann wollen wir reden. Dann wollen wir uns alles erzählen, was in so vielen Jahren geschehen ist, die wir uns nicht sahen.«
    Erst jetzt gewahrte Maria Christina, daß es auch andere Sitzgelegenheiten in dem Raum gab, außer dem hohen Lehnstuhl hinter dem Schreibtisch; Avram zog einen besonders bequemen Sessel zum offenen Kamin hin, dessen aufgestapelte Scheite er geschickt entzündete.
    »Vielleicht möchtest du dich auch erst frisch machen?« Und er ließ seine Frau ein Messingbecken mit warmem Wasser bringen und weiße Leinenhandtücher.
    »Das ist Miriam, meine geliebte Frau«, sagte er und legte einen Arm um ihre Schultern. »Wir haben uns erst spät gefunden, denn wie ich zögerte sie, zu unserem Glauben zurückzukehren. Aber sie hat mir noch zwei prächtige Söhne geschenkt, wie du gesehen hast.
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