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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Das Blaue Kreuz
     
    Z wischen dem silbernen Band des Morgens und dem grün glitzernden Band der See legte das Schiff in Harwich an und entließ einen Schwarm Menschen wie Fliegen, darin der Mann, dem wir folgen müssen, keineswegs auffällig war – und es auch nicht zu sein wünschte. Nichts an ihm war bemerkenswert, außer einem leichten Gegensatz zwischen der Ferienfröhlichkeit seiner Kleidung und der Amtsgewichtigkeit seines Gesichts. Seine Kleidung bestand aus einer leichten hellgrauen Jacke, einer weißen Weste und einem silberfarbenen Strohhut mit graublauem Band. Sein hageres Gesicht war im Gegensatz dazu dunkel und endete in einem kurzen schwarzen Bart, der spanisch aussah und nach einer elisabethanischen Halskrause verlangte. Er rauchte eine Zigarette mit der Ernsthaftigkeit eines Müßiggängers. Nichts an ihm deutete auf die Tatsache hin, daß die graue Jacke einen geladenen Revolver verdeckte, daß die weiße Weste einen Polizeiausweis verdeckte oder daß der Strohhut einen der klügsten Köpfe Europas bedeckte. Denn es handelte sich um Valentin selbst, den Chef der Pariser Polizei, den berühmtesten Detektiv der Welt; und er war von Brüssel nach London unterwegs, um den größten Fang des Jahrhunderts zu machen.
    Flambeau war in England. Der Polizei dreier Länder war es endlich gelungen, die Spur des großen Verbrechers zu verfolgen: von Gent nach Brüssel, von Brüssel nach Hoek van Holland; und es wurde vermutet, daß er sich die Ungewohntheit und Konfusion des Eucharistischen Kongresses zunutze machen würde, der gerade in London stattfand. Vermutlich würde er als einfacher Geistlicher oder damit befaßter Sekretär angereist kommen; aber dessen konnte sich Valentin natürlich nicht sicher sein; bei Flambeau konnte niemand sicher sein.
    Viele Jahre ist es jetzt her, seit dieser Gigant des Verbrechens unvermittelt davon abgelassen hat, die Welt in Aufruhr zu versetzen; und da war, wie es nach dem Tod von Roland hieß, eine große Stille auf Erden. In seinen besten Tagen aber (ich meine natürlich, in seinen schlimmsten) war Flambeau eine so ragende und internationale Figur wie der Kaiser. Nahezu jeden Morgen berichtete die Zeitung, daß er sich den Folgen des einen außerordentlichen Verbrechens entzogen hatte, indem er ein anderes beging. Er war ein Gascogner von riesiger Gestalt und größtem Wagemut; und die wildesten Geschichten erzählte man sich über die Ausbrüche seines athletischen Humors; wie er den juge d’instruction umdrehte und auf den Kopf stellte, »um ihm den Geist zu klären«; wie er die rue de Rivoli hinabstürmte mit je einem Polizisten unter jedem Arm. Man muß ihm freilich zugestehen, daß er seine phantastische Körperkraft im allgemeinen bei solch unblutigen, wenngleich würdelosen Auftritten einsetzte; seine wirklichen Verbrechen waren hauptsächlich solche der genialen und großangelegten Räuberei. Doch jeder seiner Diebstähle war fast eine neue Sünde und würde eine eigene Geschichte abgeben. Er war es, der die große Tiroler Molkerei-Gesellschaft in London betrieb: ohne Molkerei, ohne Kühe, ohne Milchwagen, ohne Milch, aber mit einigen tausend Kunden. Er bediente sie auf die einfachste Weise dergestalt, daß er die kleinen Milchkannen vor anderer Leute Türen wegnahm und vor die seiner Kunden stellte. Er war es, der mit einer jungen Dame eine unerklärliche und enge Korrespondenz unterhielt, obwohl deren Posteingang überwacht wurde, indem er sich des außerordentlichen Tricks bediente, seine Botschaften unendlich klein auf die Plättchen eines Mikroskops zu photographieren. Viele seiner Unternehmungen waren jedoch von umwerfender Einfachheit. So wird erzählt, daß er einmal mitten in der Nacht alle Hausnummern einer Straße ummalte, nur um einen bestimmten Reisenden in eine Falle zu führen. Sicher aber ist, daß er einen tragbaren Briefkasten erfand, den er in ruhigen Vorstädten aufstellte für den Fall, daß Ortsfremde Geldanweisungen hineinwürfen. Schließlich war er auch als erstaunlicher Akrobat bekannt; trotz seiner mächtigen Gestalt konnte er springen wie ein Heuschreck und in Baumkronen verschwinden wie ein Affe. Daher denn der große Valentin, als er daran ging, Flambeau zu fassen, sich völlig klar darüber war, daß seine Abenteuer nicht damit beendet sein würden, daß er ihn fand.
    Wie aber sollte er ihn finden? Dazu waren des großen Valentins Gedanken noch im Prozeß der Klärung.
    Eine Sache gab es, die Flambeau trotz all seiner
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