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Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Titel: Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
Autoren: Kerstin Pflieger
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1
    † W er bin ich? Eine einfache Frage, trotzdem kannte sie deren Antwort nicht.
    Sie erinnerte sich an eine verschneite Winternacht, an Wolfsgeheul und das Lärmen von Schüssen, gefolgt vom Geschmack heißen Blutes, das über ihre Lippen quoll. Doch handelte es sich dabei um ihre eigenen Erinnerungen?
    Sie wusste es nicht. Sie wusste gar nichts. Frustriert biss sie sich auf die Unterlippe. Bilder prasselten auf sie ein, während sie ihr Gedächtnis nach der Lösung durchforstete und sie nicht fand.
    Sie lebte wie ein Tier, angetrieben von Instinkten und den Befehlen ihrer Herrin. Lange Zeit hatte ihr das genügt, inzwischen jedoch durchbrachen immer mehr Fragen ihren Panzer aus Gleichgültigkeit, rüttelten ihre dumpfe Existenz auf und brachten sie in Gefahr. Wie ein Wolf, der das Nahen eines Unwetters spürte, rollte sie sich zusammen, zog die Decke enger um sich. Es war so kalt. Das Zittern ihrer Glieder wollte nicht aufhören. Wie sehr wünschte sie sich ein wenig Wärme, aber das Haus, in dem sie sich befand, war nicht ihr eigenes. Die Familie, der es gehörte, war verreist, vielleicht ein netter Skiurlaub oder eine Flucht in tropisches Klima. Wenn sie wiederkamen, würden sie sich über das Verschwinden von ein paar Fertiggerichten wundern, und womöglich würde ihnen auffallen, dass manche Dinge nicht an ihrem althergebrachten Platz standen, aber mehr als ein überraschtes Kopfschütteln würde es nicht auslösen.
    Zumindest war das der Plan, dennoch wagte sie es nicht, im Kamin ein Feuer zu entzünden. Zu viele neugierige Nachbarn. Und von den modernen Heizungsanlagen verstand sie nicht genug, um sich an diese heranzutrauen. Was für seltsame Zeiten es doch waren, in denen man kein Holz mehr hackte, sondern nur noch ein paar Knöpfe drückte, damit man im Winter nicht erfror. Wie hatte dieser Wandel so unbemerkt an ihr vorbeiziehen können?
    Die Kälte mochte sie zwar nicht töten, trotzdem litt sie, versuchte, sich Wärme in ihre tauben Finger zu reiben. Wie sie es hasste zu frieren.
    Sie lauschte in sich hinein. Da war es wieder. Dieses unbändige Verlangen nach Blut, Tod und Vernichtung. Als hätte es ihr Interesse bemerkt, schwappte es gierig in ihr hoch, bemühte sich, die Kontrolle über ihre Gedanken zu erlangen. Früher hatte es ihr Dasein bestimmt, inzwischen fühlte es sich wie ein Fremdkörper an, der sich in ihre Seele gebohrt hatte. Als müsste sie über all das Leid weinen, das sie verursacht hatte, anstatt sich darin zu suhlen.
    Aurinsbach. Ihr nächstes Ziel. Instinktiv fletschte sie die Zähne. Der Anflug von klarem Verstand wurde von mächtigeren Trieben zurückgedrängt. Bald würde Blut fließen, und ihre Zweifel würden verfliegen.

2
    † I ch atme den Tod und sehe das nahende Ende, wann immer ich in Torges Armen liege.« Lea hob ihre linke Hand, sodass sich milchiges Mondlicht über ihre Haut ergoss. Sie streckte ihre andere Hand aus und fuhr durch den schimmernden Sternenstaub, der in feinen Schwaden dem Himmel entgegenstrebte, woraufhin das zarte Gespinst ihre Finger in weichen Wogen umspielte. »Das willst du nicht.«
    Lilly senkte den Kopf. »Alles ist besser als das Wissen, dass er mich bald verlassen wird.«
    Im selben Moment, in dem sie die Worte aussprach, wurde ihr bewusst, wie taktlos es war, so etwas Lea gegenüber zu sagen, doch es war zu spät. Das Mädchen, das sie so sehr an eine junge Ausgabe von Angelina Jolie erinnerte, drehte sich abrupt zu ihr um. »Hältst du mein Schicksal tatsächlich für so erstrebenswert? Würdest du es vorziehen, deinen Liebsten sterben zu sehen?«
    »Natürlich nicht.« Sie trat einen kleinen Stein zur Seite und fluchte unterdrückt. Lea war eine Sternenseele, ein Mensch, der im Augenblick seines Todes von einem Stern auserwählt wurde, um die Menschheit fortan zu beschützen. Zu diesem Zweck wurde sie geheilt, ihr Leben verlängert – aber nur für so lange, wie das Licht ihres Sterns bis zur Erde benötigte. Das konnten Jahrhunderte sein oder, wie in Leas Fall, nur ein paar Jahre. Das Schlimmste für sie war allerdings, dass ihrem sogenannten Zwillingsstern, dem Jungen, der für sie bestimmt war, noch weniger Zeit blieb und sie nun jeden Tag fürchtete, dass er beginnen könnte zu altern und damit sein unabwendbares Ende bevorstand. »Das ist so verdammt unfair. Wir sollten in die Schule gehen, Partys feiern, herumknutschen und nicht über die Endlichkeit unseres Lebens nachdenken.«
    »Wenn du klug bist, verlässt du ihn. Du kannst
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