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0139 - Wo der Werwolf lauert

0139 - Wo der Werwolf lauert

Titel: 0139 - Wo der Werwolf lauert
Autoren: Walter Appel
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Im Arbeitszimmer des Professors im Südflügel des Schlosses verlosch meist erst im Morgengrauen das Licht. Raffael, der getreue Butler, sorgte sich um seinen Herrn. Zamorra hatte sich in erschreckender Weise verändert.
    Aus dem vitalen, energischen Professor war ein mürrischer, in sich gekehrter Mann geworden. Er aß wenig und unregelmäßig, er trieb keinen Sport mehr, sondern wanderte allenfalls noch eine Stunde oder zwei im Schloßpark umher.
    Dabei schwieg er, vom Personal durfte ihn niemand anreden.
    Zamorras Gesichtsfarbe wurde fahl unter der Sonnenbräune, er magerte ab, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und Falten, die zuvor kaum aufgefallen waren, kerbten sich tief in sein Gesicht. Professor Zamorra hatte die Freude am Leben verloren.
    Ihm fehlten Nicoles Liebe, ihr bezauberndes, kapriziöses Wesen, ihre Lebhaftigkeit und Begeisterungsfähigkeit. Er vermißte Bill Flemings Freundschaft und seinen trockenen Humor. In mehreren Jahren und zahlreichen dämonischen Abenteuern waren Professor Zamorra, Nicole Duval und Bill Fleming zu einer unzertrennlichen Gemeinschaft verschmolzen.
    Zu einem Team, das die Mächte der Finsternis fürchteten.
    Jetzt, da Nicole Duval und Bill Fleming ein Schicksal ereilt hatte, das weit schlimmer war als der Tod, fühlte Zamorra sich nicht einmal mehr wie ein halber Mensch. Mit verbissenem Eifer wühlte und arbeitete er in seinen Unterlagen, um Nicole und Bill doch noch zu finden und zu retten.
    Im Eckturm des Châteaus führte er manchmal bis zu drei Beschwörungen in einer Nacht durch, um einen Weg zu finden, seine beiden Gefährten zurückzuholen. Es war immer vergebens. Zamorra schrieb und telegrafierte an andere Gelehrte und Magier, um einen Rat zu erhalten.
    Sie antworteten alle bedauernd, bei der geschilderten Sachlage gäbe es keine Rettung. Sechs Wochen verstrichen, die schwüle Hitze des Hochsommers lastete über dem Loiretal. Auf den Feldern mähten die Bauern das reife Korn.
    Am Vormittag des 22. Augusts spähte der Butler und Schloßverwalter Raffael vorsichtig in Zamorras Schlafzimmer. Die Vorhänge waren vorgezogen, das Bett aber unberührt. Raffael erschrak, tief. Hatte Professor Zamorra in seiner Depression und Verzweiflung etwa einen Fehler begangen? War er dämonischen Mächten zum Opfer gefallen?
    Der grauhaarige, schlanke Butler eilte schnurstracks in Zamorras Arbeitszimmer. Er riß die Tür auf.
    »Gottseidank!« entfuhr es ihm.
    Denn da war Zamorra. Er lag mit dem Oberkörper über seinem Schreibtisch. Das elektrische Licht brannte noch. Zamorra war beim Studium althochdeutscher Folianten völlig übermüdet eingeschlafen.
    Ein dicker Hecht von Zigarettenqualm hing in dem großen, antik eingerichteten Arbeitszimmer mit dem Kamin und den hohen Bücherregalen. Im Aschenbecher neben Zamorras Kopf stapelten sich die Kippen. Eine geleerte Kaffeekanne, zwei benutzte Tassen und eine halbleere Kognakflasche standen da.
    Raffael schüttelte bedauernd den Kopf. Was war nur aus dem besonnenen, immer überlegenen Professor geworden? Aber Raffael konnte es Zamorra nachfühlen, auch für ihn waren Nicole Duval und Bill Fleming persönliche Freunde gewesen.
    Der Butler zog die schweren Stores auf und öffnete das Fenster. Frische, reine Morgenluft drang ins Zimmer. Vorsichtig berührte Raffael den Professor an der Schulter und schüttelte ihn leicht.
    »Professor! Professor Zamorra!«
    Ruckartig richtete Zamorra sich auf. Einen Moment sah er verständnislos umher, dann wußte er wieder alles. Er lächelte müde.
    »Ich bin eingeschlafen, Raffael.« Er schaute auf die flache Rolex an seinem Handgelenk. »Zehn Uhr schon. Ich muß mich beeilen, ich glaube, ich bin da auf etwas Vielversprechendes gestoßen.«
    Sein Zeigefinger fuhr über die Zeilen und blieb an einer bestimmten Stelle des althochdeutschen Textes hängen. Zamorra strich sich mit der Linken über das etwas in Unordnung geratene, an den Schläfen graumelierte Haar und zündete sich dann eine Filterzigarette mit dem silbernen Tischfeuerzueg an.
    »Bring mir frischen Kaffee, Raffael«, sagte er, während er sich schon wieder in seine Arbeit vertiefte. »Und zwei Sandwiches.«
    Raffael blieb vor dem Schreibtisch stehen.
    »Sie sollten sich ausruhen, Professor«, sagte er. »Sonst brechen Sie noch zusammen oder begehen einen verhängnisvollen Fehler. Kein Mensch kann auf die Dauer so leben wie Sie in der letzten Zeit, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Ihre Unterlagen laufen Ihnen nicht weg.«
    »Sei still,
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