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Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Titel: Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
Autoren: Kerstin Pflieger
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alldem entkommen.« Lea sah sie an. »Du hast diese Möglichkeit.«
    »Raphael verlassen?«, keuchte Lilly, und der Schmerz, der sie allein bei dem Gedanken daran durchfuhr, überraschte selbst sie in seiner Intensität. »Niemals.«
    »Es ist schrecklich, so etwas zu sagen. Ich weiß.« Sie senkte den Kopf. »Doch ihr habt keine Zukunft. Seine Liebe zu dir wird von Tag zu Tag stärker werden, und auch wenn du bereit bist, mit einem Mann zusammen zu sein, der so viel jünger aussieht als du, wirst du eines Tages sterben.«
    Gleich einem dunklen Omen schob sich eine Wolke vor den Mond und hüllte den Wald in trübe Finsternis. Lilly hatte schon unzählige Male über das vor ihr liegende Schicksal nachgedacht, aber es so nüchtern aus dem Mund einer Freundin zu hören wandelte es von einer diffusen Bedrohung ihres Glücks zu einer erschreckend realen. Raphael war eine Sternenseele und würde noch Jahrhunderte leben, ohne zu altern, während sie ein gewöhnliches Mädchen war.
    »Das wird er nicht überstehen«, fuhr Lea fort. »Obwohl Amadeas Tod so lange Zeit zurückliegt, war er noch von Trauer zerfressen, als ich ihn kennenlernte. Erst du gabst ihm seine Lebensfreude zurück.«
    Amadea. Der Name hallte in ihren Gedanken nach wie das dröhnende Echo einer todbringenden Lawine. Sie war Raphaels Zwillingsstern. Das Mädchen, das eigentlich für ihn bestimmt war, bis der Tod sie ihm entrissen hatte. »Glaubst du, sie wird eines Tages wiedergeboren werden?«
    »Das halte ich für ausgeschlossen.« Lea schüttelte den Kopf. »An deiner Stelle würde ich mich um real existierende Probleme sorgen.« Sie legte einen Arm um ihre Schulter. »Sorry, wenn ich so hart klinge. Ich will nur nicht, dass einer von euch verletzt wird.«
    »Dafür ist es bereits zu spät«, flüsterte Lilly. Schweigend gingen sie Arm in Arm weiter, während die vereisten Blätter unter ihren Schuhen knirschten. Sie schlang ihren Wollschal enger um den Hals und wünschte sich eine Tasse heißen Kakao herbei. Es war so unglaublich kalt, dass es sie wunderte, dass ihre Atemwolken nicht zu Eis gefroren. Sie vermisste Raphael schon jetzt und wäre gerne länger bei ihm geblieben, aber er musste weitertrainieren und sie zumindest einige Stunden schlafen, wenn sie sich nicht noch mehr Ärger mit ihrer Mutter einhandeln wollte. »Fehlt dir deine Familie?«
    »Sehr.« Ihre Stimme zitterte, als sie fortfuhr: »Und ich sehe sie so gut wie nie. Sie finden mein Verhalten zu seltsam, und wenn ich wieder verschwinde, stellen sie zu viele Fragen. Das ist das Schlimmste, weißt du? Zu wissen, dass sie sich für den Rest des Lebens sorgen werden, was aus mir wurde. Ich wünschte, ich könnte ihnen sagen, dass ich sie niemals freiwillig verlassen habe und dass mir nichts Schreckliches geschehen ist.«
    Das Schimmern der Straßenlaternen war bereits durch die Bäume hindurch zu erkennen. Bald wäre Lilly zu Hause. »Das ist grausam.«
    »Nur leider kann ich nichts dagegen machen. Wir dürfen nicht gegen die Regeln verstoßen.«
    »Aber wer gibt ihnen das Recht, so über euch zu bestimmen?«
    Lea sah sie verwundert an. »Wer gibt denn der Regierung das Recht, über euch Menschen zu urteilen? Das Zusammenleben erfordert Gesetze, denen man sich beugen muss.«
    Lilly seufzte. »Es ist so unfair.«
    »Wann geht es schon gerecht zu? War es fair, dass ich so jung starb? Oder Torge, Raphael, Felias?« Sie deutete auf den schmalen Pfad, der auf die Wiese, die zwischen Wald und Ortschaft lag, hinausführte. »Wir sind da. Ich darf nicht näher an dein Haus. Wenn mich jemand sieht, würde es zu viele Fragen aufwerfen. Aber ich werde dich im Auge behalten, bis du im Haus bist.«
    »Danke.« Sie umarmten sich zum Abschied, und Lilly ging nachdenklich die letzten Meter bis zur Haustür. Irgendwie glaubte man immer, dass alle Sorgen verschwinden würden, wenn man nur ein bestimmtes Ziel erreicht hatte, nur um festzustellen, dass sich dahinter ein neuer Berg Probleme auftürmte.
    Sie schlich in ihr Zimmer hinauf, zog ihren blauen Pullover aus, bevor sie ihre Jeans abstreifte und sich nur in Unterwäsche bekleidet im Spiegel betrachtete. Sie sah ein mageres, langbeiniges Mädchen mit langen dunklen Haaren und fragte sich, wie sie wohl in fünf oder gar zehn Jahren aussehen mochte. Würde sie dann noch immer anziehend auf Raphael wirken? Ihr Herz wurde kalt und schwer, wenn sie an den Tag dachte, an dem sie die erste Falte in ihrem Gesicht entdecken würde, während seine Haut noch immer
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