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Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Titel: Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
Autoren: Kerstin Pflieger
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das Internat umgaben. Sie lief eine niedrige Steinmauer entlang, auf der sich im Sommer die Eidechsen sonnten, bis sie am Fuß einer Tanne, deren Äste unter der Last des Schnees tief hingen, stehen blieb. Suchend fuhr sie mit ihren Fingern über die vereisten Steine, wobei sie sich im Geiste verfluchte, ihre Handschuhe vergessen zu haben. Die Kälte biss schmerzhaft in ihre schutzlose Haut und vertrieb auch die letzte Illusion von Wärme. Endlich fand sie die gesuchte Stelle und hob den lockeren Stein an, um den darunter verborgenen Zettel herauszuholen. Sanft schüttelte sie den Schnee ab und errötete vor Freude, als sie die vertraute, elegante Handschrift sah.
    Tausende Küsse schicke ich dir!
    Für jede Sekunde, die ich nicht bei dir bin, einen!
    In ewiger Liebe, Raphael
    Sie las die Zeilen noch zwei Mal, bevor sie den Brief sorgfältig faltete und in ihrer Tasche verstaute. Am Abend würde sie ihn zu den anderen in ein schwarzes Notizbuch, auf dem goldene Blätter rankten, kleben. Es war eine lieb gewonnene Tradition, dass er ihr jeden Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, eine Nachricht hinterließ. Nur so überstand sie den Tag, wenn die Kraft seines Sterns ihn verließ und er sich in einen gefühllosen Zombie verwandelte.
    Sie ging zurück zum Weg und schlitterte zum Hintereingang. In den Parkanlagen sparten sie mit Salz und Sand, um die Blumen und Bäume nicht zu schädigen, wodurch jeder Besuch drohte, sich in eine Rutschpartie zu verwandeln.
    Sie atmete erleichtert auf, als sie ihre Hand auf den gusseisernen Türknauf legte, nur um sogleich erschrocken aufzuschreien, als sie mit einem Ruck aufschwang und sie mit dem Kopf gegen das Holz prallte. Sie stolperte zurück, rutschte auf dem Eis aus und fiel unsanft hin. »Was zur Hölle …?«, fluchte sie und sah auf. Ihr Blick traf auf einen unverschämt gut aussehenden Jungen, dessen fast schulterlange maronenfarbene Haare sein halbes Gesicht verbargen. Trotzdem kam er ihr seltsam bekannt vor. Sie konnte nur nicht einordnen, wo sie ihn zuvor schon einmal gesehen hatte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, wobei der oberste Knopf seines Hemds offen stand und ein Stück schneeweißer Haut offenbarte. Wären nicht die unzähligen Silberringe und -ketten gewesen, hätte er vollkommen normal gewirkt. Zumindest dachte sie das, bis sie sein Gesicht sah. Kantige Züge und hohe Wangenknochen verliehen ihm eine Härte, die nur durch seine strahlend limonengrünen Augen, umrandet mit dunklem Kajal, abgemindert wurde. Wow, dachte sie unwillkürlich. Michelle würde ausrasten, wenn sie den Jungen sehen würde.
    Ihre Blicke trafen sich, und sie bemerkte, wie er einen Moment zögerte, als würde er auf eine Reaktion von ihr warten. Sie riss sich von seinem Anblick los und versuchte aufzustehen. Anscheinend brach das den Bann, unter dem der Junge zu stehen schien. Er reichte ihr seine Hand und zog sie auf die Beine.
    »Alles okay?«
    Sie nickte und klopfte sich Schnee und Eiskristalle von ihrem Mantel.
    »Das wird eine ganz schöne Beule geben.« Er deutete auf ihre Stirn, und erst da bemerkte sie, dass die Stelle, an der sie die Tür getroffen hatte, gewaltig schmerzte.
    Sie unterdrückte einen Fluch. Sie konnte schon jetzt Calistas spitze Bemerkungen hören. Sie war zwar deutlich netter geworden, aber die Zicke steckte einfach zu tief in ihr. »Wahre Schönheit kann nichts entstellen«, sagte sie mit einem schiefen Grinsen und hoffte, dass er sie nun nicht für vollkommen verrückt hielt.
    »Stimmt.« Er lächelte und zeigte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. »Ich bin Mikael.«
    »Mein Name ist Lilly. Du musst neu auf dem Internat sein.«
    Er nickte. »Ich wollte einen Moment Ruhe haben, bevor ich mich der ersten Schulstunde stelle.«
    »Die Lehrer sind in Ordnung, und die Schüler unterscheiden sich nicht großartig von denen an anderen Schulen.«
    »Du klingst, als hättest du viel Erfahrung damit.« Neugierig betrachtete er sie, als wäre sie erst nun wirklich interessant für ihn und als müsste er sich jedes Detail einprägen.
    »Meine Mutter und ich sind ständig umgezogen. Ich bin erst seit einem halben Jahr hier.« Aber was das für Monate gewesen waren! Ihr ganzes Leben hatte sich in der kurzen Zeit vollkommen verändert. Zum Guten und zum Schlechten.
    »Dann bist du so wurzellos wie ich. Ich habe noch kein Schuljahr an derselben Schule beendet, an der ich es angefangen habe.«
    »Wo warst du denn zuletzt?«
    »Auf einem Internat in Mailand.«
    Lilly lachte auf,
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