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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Monica Kristensen
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KAPITEL 1 Der Dritte
    Allen war es aufgefallen. In manchen Nächten hatte Licht hinter den Fenstern des alten Hauses gebrannt. Im Winter kam es vor, dass das Eis auf den Fensterscheiben schmolz. Jemand feuerte im Haus den Kachelofen an. Alle wussten es, aber nie wurde jemand gesehen.
    Das Haus war in traditioneller russischer Art aus Lärchenholz gebaut. Man sah, dass die Handwerker sich bei den Türfassungen, der kleinen Veranda und den Fensterrahmen Mühe gegeben hatten. Vielleicht war die sorgfältig gearbeitete Vertiefung, die unter dem Dach verlief, einmal lackiert gewesen, doch inzwischen wirkte alles nur noch grau und verfallen. Die Lage verstärkte den trostlosen Eindruck: Das Haus stand abseits an einer unbebauten Stelle des Abhangs, zwischen der Siedlung und den hässlichen Lagerhäusern unten am Kai.
    Niemand wohnte dort, das war offensichtlich. Die Haustür stand häufig offen und schwang in ihren schiefen Angeln im Wind. Eine Reparatur des Dachs wäre nötig gewesen. Die nach alter Sitte zugeschnittenen Dachpfannen aus Holz waren morsch, vom Wetter zerfressen. So lange jemand sich entsinnen konnte, hatte das Haus so dagestanden und war langsam verfallen.
    Aber irgendjemand musste sich in dem alten Schuppen wohlfühlen. Irgendjemand reparierte das Haus heimlich. Es war nicht zu übersehen, dass jemand die lockere Türangel festgeschraubt hatte. Ein zerbrochenes Fenster wurde mit einem Stück Pappe abgedichtet. Und als vor ein paar Jahren im Winter der Schornstein aus Ziegelsteinen einstürzte, hatte irgendjemand ihn wieder aufgebaut.
    Das Haus wurde selten betreten. Es gab keine Veranlassung dazu, welchen Grund hätte es auch geben sollen? Und wenn jemand hineinging, dann höchstwahrscheinlich ein Tourist, der es eigentlich besser wissen sollte, als an Orten herumzuschnüffeln, an denen solche Leute nichts verloren haben. Ein zufälliger Besucher hätte allerdings auch bemerken können, dass die Einrichtung des Hauses in Stand gesetzt und gut erhalten war. Der ungebetene Gast hätte sich wahrscheinlich über den sauberen Flur und den gefegten Boden gewundert. In der Küche gab es weder Staub noch Dreck, und das Wohnzimmer wirkte so merkwürdig … bewohnt. Als sei jemand gerade noch im Zimmer gewesen und hatte vergessen, die Teetasse mit in die Küche zu nehmen – eine alte, gesprungene Tasse mit abgenutztem Dekor, aber hergestellt aus dünnem, feinem französischen Porzellan. Was hatte eine solch hübsche Teetasse hier zu suchen, in einer kleinen russischen Bergarbeitersiedlung in der Nähe des Nordpols?
    Noch stand die Tasse unberührt im Zimmer. Noch hatte kein neugieriger Tourist sie als unverdientes Souvenir mitgenommen.
    Selten stieg eine dünne Rauchsäule aus dem Schornstein. Meist im Winter und häufig mitten in der Nacht. Und obwohl man nie jemanden sah, gab es viele unter den knapp achthundert Einwohnern von Barentsburg, die wussten, wer sich im Haus an dem runden Kohleofen wärmte, süßen Kuchen aß und dazu echten russischen Tee mit Himbeermarmelade trank und vorsichtig mit winzigen Gläsern voller Wodka der feinsten Marke anstieß.
    »Ah, Ljuda, endlich … War es schwierig herzukommen?«
    Die Frau war nicht jung. Nach westlichen Maßstäben hätte man sie wohl als alt bezeichnet. Doch die Stimme des Mannes war herzlich, ein zärtlicher Blick begleitete sie, als sie sich vorsichtig in den zerschlissenen Sessel niederließ und sich dabei mit beiden Händen auf die Armlehnen stützte. »Hast du wieder Schmerzen?«
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn an. »Es ist dieser Winter. Ich habe solche Angst zu stürzen. Du weißt, ich bin groß und schwer. Stell dir vor, ich würde die Treppe von der Stadt bis zum Kai hinunterfallen. Stufe um Stufe, wie eine breite Kommode.« Er lächelte zurück, ein Goldzahn blitzte auf.
    Sie kümmerte sich um den Samowar, er besorgte frisches Wasser. Den Tee, die Kekse und die Marmelade brachte sie mit, eingepackt in ein weißes Küchentuch, das sie in eine fleckige, schmutzige Schultertasche gelegt hatte. Den Wodka steuerte er bei, diesmal eine halbe Flasche original Stolichnaya, geschmuggelt vom Festland und aufgespart für solche Gelegenheiten.
    Als sie aufstehen wollte, sprang er auf. »Bleib doch sitzen, ich hole die Gläser.« Er war flink und unerwartet beweglich, trotz des schweren Körpers und des dicken Bauchs, der sich unter dem Hemd und der Strickjacke wölbte. Erst holte er kleine Teller und Gläser aus einem Eckschrank, dann stellte er
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