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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Monica Kristensen
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als sie an der Garderobe ihre Stiefel auszog, in normale Schuhe schlüpfte und ihren Parka aufhängte. Dann wurde es still. Nur wenige Sekunden später begann es erneut. Merkwürdig. Warum nahm der wachhabende Beamte das Gespräch nicht an? Alle, die vor acht anriefen, wurden nach ein paar Klingelzeichen automatisch von der Telefonzentrale zum Telefon des Wachhabenden weitergeleitet.
    Der Empfangsbereich im neuen Gebäude der Regierungsbevollmächtigten war ein ansehnlicher Raum: sehr hoch, Parkettfußboden, keine weiteren Möbel als ein Sofa mit einem dazugehörigen niedrigen Tisch gegenüber der Rezeption. An den Panoramascheiben in Richtung Skjæringa und Kohleverladekai, durch die man eine prächtige Aussicht auf den Isfjord hatte, stand ein starkes Fernrohr. Es war für ungeduldige Besucher gedacht, diente jedoch noch einem anderen Zweck. Der Umweltbeauftragte konnte damit die planlosen Wanderungen und das unvorhersehbare Verhalten umherstreifender Eisbären auf dem Eismeer verfolgen. Dieser Mann entschied, ob die Tiere nur verjagt wurden oder ob sie sich so beunruhigend verhielten, dass sie getötet werden mussten. Vor dem Korridor zu den Büros der Beamten richtete sich solch eine ehemalige Bedrohung im Schatten auf, eine ausgestopfte Eisbärin. Sie sollte alle Besucher daran erinnern, dass Eisbären keine Touristenattraktion, sondern gefährliche Raubtiere waren.
    Erneut klingelte das Telefon. Die Telefonistin lief hinter den Empfangsschalter. Eine Frau war am Apparat. Sie sprach einigermaßen verständliches Englisch, allerdings mit einem schweren russischen Akzent. So unerwartet kam dieser Anruf, dass die Telefonistin zunächst gar nichts verstand. Nach und nach wurde klar, dass die Frau mit der Regierungsbevollmächtigten verbunden werden wollte. Sie rief an, um eine Verbindung für den Konsul in Barentsburg herzustellen. Geduldig versuchte ihr die Telefonistin zu erklären, dass es in Longyearbyen früher Morgen war. Noch war niemand in den Büros. Irgendwie hörte es sich idiotisch an, als gehörten sie zu einer anderen Zeitzone als Barentsburg. Aber was sollte sie sagen? Sie wollte lieber dumm als abweisend erscheinen.
    Der Konsul kam selbst an den Apparat. Über die Telefonistin ergoss sich ein Sturzbach aus nahezu unverständlichen Ersuchen um baldige Unterstützung durch die Regierungsbevollmächtigte.
    »Für Barentsburg? Aber, aber …«
    Natürlich für Barentsburg. Es eilte. Der Konsul hoffte, nein, er erwartete , dass die Regierungsbevollmächtigte sich so schnell wie möglich in der russischen Siedlung einfand. In dieser Krisensituation … nun ja, er sehe jedenfalls augenblicklicher Hilfe entgegen. Dann knallte er den Hörer auf.
    Der Empfangsbereich lag im Halbdunkel, nur hin und wieder durch Autos erleuchtet, die auf der Straße nach Skjæringa fuhren. Die Telefonistin blieb sitzen und blickte auf die Silhouette der Eisbärin am anderen Ende des Raumes. Die Glasaugen des Tieres blitzten jedesmal auf, wenn ein Scheinwerfer sie streifte. Die Telefonistin beschlich eine Art Vorahnung.
    Der kleine digitale Bildschirm der Telefonzentrale zeigte 07:23 Uhr. Welche Katastrophe hatte sich in der russischen Siedlung ereignet, dass der Konsul die Regierungsbevollmächtigte so früh am Morgen sprechen wollte? Jedenfalls musste es wichtig sein, vielleicht irgendein Unglücksfall? Aber die Polizei in Longyearbyen wurde selten über derartige Ereignisse informiert, bevor die Russen nicht ihre eigenen Untersuchungen vorgenommen oder aufgeräumt hatten, um dann Ergebnisse zu präsentieren, über die sie kaum mit sich reden ließen. Warum hatten sie es diesmal so eilig?
    Und wieso hatte der wachhabende Beamte den Anruf nicht entgegengenommen?

KAPITEL 3 Dummheit
    Knut Fjeld, Polizeibeamter der Regierungsbevollmächtigten, erwachte wie jeden Morgen – schlagartig. Er wusste, dass die Uhr Viertel nach sieben zeigte. Es war zur schlechten Gewohnheit geworden, exakt um diese Uhrzeit aufzuwachen. Ohne darüber nachzudenken, wusste er auch, dass es Montag war. Er wollte die Augen nicht öffnen, fühlte sich krank. Und für sein Unwohlsein gab es durchaus einen Grund. Er befand sich im Polarhotel, Zimmer 211 – er erkannte es an der großen Lithographie, die an der Wand über dem Bett hing, eine Art Collage über die Geschichte der Bergbaugesellschaft Kings Bay.
    Ohne ein Geräusch von sich zu geben, hob er den Kopf aus dem Kissen und blickte neben sich. Trotz eines schwachen Parfümdufts lag er allein im Bett.
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