Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wolkenbraut: Das Leben der Philippine Welser. Ein historischer Roman

Die Wolkenbraut: Das Leben der Philippine Welser. Ein historischer Roman

Titel: Die Wolkenbraut: Das Leben der Philippine Welser. Ein historischer Roman
Autoren: Jeannine Meighörner
Vom Netzwerk:
Mittlerer Goldener Steig 1596
Ein Zwerg wird nicht länger, wenn man daran zieht
    Jetzt bin ich ein Ungeheuer. Ginge es nicht um mein Leben, wäre es amüsant.
    In Innsbruck galt ich zuletzt weniger als ein krumm gelaufener Schuh. Ein eingewachsener Zehnagel war ich. Lästig. Ein schmerzhaftes Übel der Witwe meines Herrn. Ihre Bittprozessionen, ihren ganzen humorlosen Marsch ins Paradies habe ich gestört. Alles hässliche, ja, hassenswerte käme in diesem Thomele zusammen, hatte die Gonzaga geseufzt und ihre Augäpfel Richtung Himmel verdreht. So, dass nur noch das Weiße darin war. Sie hat in mir immer nur den Affen dieser Krämerstochter gesehen, wie sie ihre Vorgängerin Philippine jetzt ungeniert nannte.
    Mein einziges Verbrechen ist, dass ich alt geworden bin. Überalterte Ware. Uns will man kinderärschig und hühnerknöchelchen-zart. So possierlich, dass die Verderbtheit der Menschen sich bei unserem Anblick in Gelächter entlädt.
    Niemand möchte einen kahlköpfigen Kobold. Mein ramponierter Puppenkopf – ein Witz der Physiognomie mit allzu wissenden Augen: Kleingeister, Großtuer und viel zu viele schöne Frauen haben sie gesehen, ihre Schädel wie welke Tulpenkelche zu mir hinabgebeugt. Einst brachte es Glück, mich zu berühren.
    Nun gilt es als Spaß, mich zu misshandeln. „Der Sensenmann hat dich übersehen, da helfe ich nach“, feixte jüngst ein Bursche mit einem Schäferstock auf mich eindreschend, nicht ahnend, dass ich unterm Mantel einen Degen trage. Dass ich gelernt habe, ihn zu führen. Nun hat er ein Loch im Wanst, von unten nach oben gestochen, flinker als ein Schafskopf schauen kann.
    Doch es ist mühsam, die Langen zu unterrichten.
    Sie sind noch hochmütiger, seit die Schätze der neuen Welt ihre Raffgier ins Unermessliche steigern und der neue Glaube sie gegeneinander aufbringt.
    Seitdem hält man mich an einem namenlosen Ort gefangen und nach Schafsmist stinkendes Gesindel will mich richten.
    Dabei hatten mein Begleiter Jost und ich die Mühsal des Bayrischen Waldes fast überwunden. In gedrückter Stimmung zwar. Den Giftbecher-Gustl hatte in Passau ein Schlagfluss dahingerafft, auf einer Straßenschönheit war er verschieden. Lange hatte er sich als Vorkoster meines Herrn bester Gesundheit erfreut, um sich am Nektar einer Frau zu vergiften.
    „Speis und Trank des schleckigen Ferdinand II. von Österreich waren fad gegen eine bayrische Dirn“, war das letzte, was Gustl hinausposaunt hatte. In Bischofsstädten stolzieren heute mehr geputzte Schlafweiber umher, als ein Meister Tizian Engelsputten malen kann. Salzburg das gleiche Sündenbabel.
    Aus Innsbruck – kein Bischofssitz, aber voll selbstverliebter Heiterkeit – hat die fromme Ziege nun alle Sinneslust verbannt. Ihren Witwenleib hinter Klostermauern eingeschlossen. Das hätte sie nicht müssen. Was sollte die Gonzaga beichten? Wofür um Vergebung bitten?
    Noch keine sechs Wochen nach der Vermählung hatte sie ihrem Gemahl ein Nebeneinander in „ehelicher Reinlichkeit“ empfohlen. Drollig der Versuch dieser Brackwasserente aus den Sümpfen Mantuas, einem mit allen Wassern gewaschenen Habsburger Enthaltsamkeit zu predigen.
    Als Ferdinand sich weiter abgemüht hatte für den erhofften Sohn und legitimen Erben für Tirol, hatte die Gonzaga Rosenkranz gebetet. Unterdessen! Wieso ich dies weiß? Frage derartiges nie einen Thomele.
    Nun ist es an der Zeit für einen Spaßmacher, sein Bündel zu schnüren. Land der Berge, Land der Rosenkränze, lebe wohl; Prag, du goldene Stadt, von deiner Freiheit einen Hut voll!
    Schon Philippine hatte mich gewarnt, dass ein Zwerg immer wieder klein anfangen muss.
    Nach Passau waren wir dem Goldenen Steig gefolgt mit dem Ziel, Böhmen vor Ostern zu erreichen. Was hier gülden sein soll, hatte ich mich ich in dieser feuchten Wurzelhölle gefragt, als ich meinem Pony vorangehen musste. Unsereins ist für Gewaltmärsche denkbar ungeeignet, macht Jost einen Schritt, macht Thomele drei. Bald fließt jeder Tropfen, der aus dir rinnt, nach Prag, die Wasserscheide zwischen Donau und Moldau, meiner Vltava, zum Greifen nah. Dann trug mir der Böhmwind heimatliche Gerüche zu, zog mich an den Nasenlöchern wie einen Ochsen weiter:
    zu dampfenden Knödeln, zwergenkopfdick, zu Hechten, Brassen, Welsen, Rotaugen, Barschen und fett gefütterten Karpfen aus Böhmens unzähligen Teichen. Und zu meiner Mutter, deren Haar, zumindest die ewig feuchten Strähnen hinter ihren Ohren, immer gerochen hatten wie die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher