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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Monica Kristensen
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und rührte süße Himbeermarmelade in den Tee. Zwischen ihnen stand das Wissen um die andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit außerhalb dieses verfallenen Holzhauses.
    Die heimlichen Verabredungen folgten mit ihren kleinen Ritualen einem eingespielten Muster. Sie aßen Kuchen, tranken Tee und prosteten sich mit Wodka zu. Dann folgte die erwartete Überraschung.
    Er sagte jedes Mal dasselbe. »Denkst du etwa, es gibt nichts mehr davon? Oder dass ich es vergessen hätte?«
    Aus seiner Jackentasche zog er eine kleine rote Flasche Streleskaya, den bittersüßen starken Wodka, der nach einem geheimen Rezept aus Samara aus Weizen destilliert wurde. Er verabscheute den Geschmack, trank ihn jedoch wegen ihr. Sie hatte solche Freude an diesem heimlichen Überfluss.
    Jedes Mal tat sie gleichermaßen verblüfft, spielte die Überraschte, lachte. »Nein, wie bist du … hast du noch immer etwas davon? Wo versteckst du das alles? Die Frauen der Theatergruppe würden für ein paar Tropfen Morde begehen. Außerdem ist er gesund, ich weiß, dass er gegen Erkältung hilft … es ist der Honig … Sieh mich an, habe ich im Herbst vielleicht gehustet?«
    Sie waren wieder auf sicherem Terrain. Es ging ihnen gut, besser als wenn sie ein Ehepaar gewesen wären und ständig den grauen Alltag hätten teilen müssen. Sie waren Verschwörer, Genossen. Und Geliebte. Sie flirtete kokett und fragte ihn, ob er erraten könne, was man ihr aus Longyearbyen geschickt hatte. Er würde es bald zu sehen bekommen. Und so näherten sie sich dem letzten Punkt ihres Programms.
    Sie ging zu dem Sofa unter dem großen Wohnzimmerfenster, von dem man auf das Kai blicken konnte, setzte sich und klopfte mit der Hand auf die gute Wolldecke, die er vor einigen Monaten mitgebracht hatte. Er folgte ihr und verdeckte für ein paar Sekunden die Öffnung des Kohlenofens und den roten Schein der glühenden Kohlen. Einen Moment wurde es dunkel im Zimmer.
    Er stieß mit dem Fuß an den Tisch, die Gläser und Flaschen klirrten. Daher hörte er das leise Geräusch hinter der geschlossenen Tür zum kalten Nebenzimmer nicht. Sie betraten es nie, denn es roch dort so säuerlich nach Schimmel und fauligem Holz.
    Es war vorbei. Sie mussten zurück in ihre heruntergekommenen und kalten Wohnungen im Arbeiterblock. Er erhob sich vom Sofa, zog sich an. Ging zu dem Tisch zwischen den Sesseln. Stellte die Teetassen und Gläser vorsichtig in den Eckschrank. Entfernte die Spuren ihrer nächtlichen Mahlzeit.
    Vom Sofa aus folgte sie ihm mit den Augen, einen nackten Arm unter dem Kopf, das Haar in langen Locken über dem Kissen. Er sah sie an und fand, dass sie auf dem schmalen, ausgefransten Diwan – in dem schwachen Schein des Kohleofens, in diesem sonst so armseligen Raum – beinahe hübsch aussah.

KAPITEL 2 Ein unerwartetes Ansuchen
    An einem dieser späten Oktobertage, an denen es weder hell noch dunkel ist, kam frühmorgens ein Anruf aus Barentsburg. Emailblau wölbte sich der Himmel über Longyearbyen und seinen knapp zweitausend Einwohnern, von denen sich die meisten in den unterschiedlichsten Stadien des Erwachens befanden. Die Luft stand still, ohne den Hauch eines Windes. Sämtliche Geräusche waren über das schneebedeckte Tal zu hören. Am Krankenhaus wurde mit einem Knall ein Fenster geschlossen, unten am Kai rasselten die Ketten, ein Trecker tuckerte im Leerlauf. Aus Nybyen kam ein Auto, aus dem Inselinneren am Gletscher. Einige Minuten später waren die Scheinwerfer in den Straßen des Zentrums zu sehen. Der Schnee war in diesem Jahr früh gekommen. Die geräumten Schneeberge lagen bereits meterhoch um die Ansammlung von Läden und Geschäftsgebäuden, aber noch gab es keine Scooterspuren auf der stürmischen Tundra. Die Alten nannten diese Zeit des Jahres »den ersten Winter« und behaupteten, das Polarland hätte vier oder fünf Formen des Winters, allesamt unterschiedlich.
    Die Telefonistin im Büro der Regierungsbevollmächtigten von Spitzbergen erschien an diesem Oktobermorgen früher als gewöhnlich zur Arbeit. Sie hastete fröstelnd und noch schläfrig von ihrem Zimmer im alten Telegraphenamt ins Büro. Ein großer Haufen Post hatte sich angesammelt und musste abgelegt werden, bald ergossen sich die Papiere über den Boden. Sie wollte eine Stunde aufräumen, bevor der morgendliche Ansturm mit Telefonaten und Besuchern einsetzte.
    Noch ehe sie die doppelte Außentür aus verstärktem Glas aufgeschlossen hatte, hörte sie das Telefon. Das Läuten setzte sich fort,
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