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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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Bemerkungen, wann immer ich sie für angebracht hielt. Die meiste Zeit über saß ich allerdings einfach nur an Torfs
    Seite und hörte zu, während ich gleichzeitig darauf bedacht war, seinen von unzähligen Wunden gezeichneten Körper so selten wie möglich anzublicken.
    »Es gab einen Obstgarten auf unseren Ländereien - Hunderte von Birnbäumen -, drei große Olivenhaine und einen Feigenhain. Abgesehen von der Hauptfestung in Khemil besaßen wir innerhalb unserer Grenzen noch Rechte in zwei kleinen Dörfern und einem Marktflecken. Außerdem verlief die Straße von Edessa nach Aleppo durch den südlichen Teil unserer Länder, und der Graf hatte uns das Privileg verliehen, Zoll einzunehmen. Alles in allem war es ein guter Ort.
    In jenem ersten Jahr herrschten wir wie die Könige. Jerusalem war gefallen, und wir bekamen unseren Anteil an der Beute. In Edessa sammelte Graf Balduin große Macht und noch größere Reichtümer an. Er machte uns zu seinen Vasallen - unter Balduin waren Skuli und ich Herren von Edessa -, zusammen mit anderen, die ihm ebenso treu gedient hatten wie wir. Dieses ganze erste Jahr über haben wir nicht ein einziges Mal die Schwerter erhoben oder die Pferde gesattelt, es sei denn zur Jagd. Wir aßen die edelsten Speisen, tranken den besten Wein und gaben uns damit zufrieden, uns unser Reich aufzubauen.
    Dann ist Skuli gestorben. Das Fieber hat ihn mir genommen. Hör mir gut zu: Die Wüsten des Ostens sind eine Brutstätte für alle möglichen Krankheiten, ein Hort der Pestilenz. Sechs Tage lang hielt Skuli durch, doch am siebten war es vorbei. Am Tag, da ich Sku-li beerdigte - am selben Tag -, erreichte uns in Edessa die Nachricht, dass auch Gottfried gestorben war. Er war ebenfalls dem Fieber zum Opfer gefallen. Oder vielleicht war es auch Gift.«
    Er schwieg und ergab sich seinen Gedanken. Um ihn sanft wieder in die Gegenwart zurückzuführen, fragte ich: »Wer war Gottfried?«
    Torf blinzelte und warf mir einen misstrauischen Blick zu. »Hat Murdo dir nie etwas erzählt?«
    »Mein Vater hat mir sogar sehr viel von der Großen Pilgerfahrt
    erzählt«, erwiderte ich ein wenig beleidigt.
    Spöttisch verzog der alte Mann den Mund. »Er hat dir überhaupt nichts erzählt, wenn du noch nicht einmal Gottfried von Bouillon kennst, den ersten König von Jerusalem.«
    Ich hatte von dem Mann gehört, allerdings nicht von meinem Vater - das stimmte; Murdo sprach nur selten über den Kreuzzug. Abt Emlyn jedoch redete kaum von etwas anderem. Ich erinnere mich daran, wie ich zu seinen Füßen gesessen habe, während er uns von seinen und Murdos Abenteuern im Heiligen Land erzählte. Wie du sehr wohl weißt, verstand es der alte Mönch, gute Geschichten zu erzählen, und ich wurde niemals müde, ihm zuzuhören. Daher wusste ich in der Tat sogar recht viel über Herrn Gottfried, den Verteidiger des Heiligen Grabes, und seine unermessliche Torheit.
    An diesem Abend war ich jedoch mehr daran interessiert, was Torf wusste; also fragte ich: »Gottfried war Balduins Bruder, nicht wahr?«
    »Das war er, und ein Mann so tapfer, wie ich nie wieder einem begegnet bin. Auf dem Schlachtfeld war er ein Löwe; niemand vermochte ihm zu widerstehen. Doch wenn er nicht gerade die Ungläubigen schlug, lag er auf den Knien und betete. Alle hielten ihn für einen Heiligen.« Torf hielt kurz inne, als wolle er sich noch einmal die Größe des Mannes ins Gedächtnis zurückrufen. Dann fügte er hinzu: »Gottfried war ein Esel.«
    Nach allem, was er bisher gesagt hatte, überraschte mich diese Bemerkung. »Wieso?«, fragte ich.
    Torf aß ein weiteres Stück Brot und deutete dann auf die Schüssel mit der Brühe. Ich reichte sie ihm, und mit lautem Schlürfen leerte er sie in einem Zug. Schließlich stellte er sie wieder beiseite und lehnte sich zurück. »Warum?« Er blickte mich mit seinen spöttischen Augen an. »Ich vermute, du gehörst auch zu jenen, die glauben, der Papst solle ihn heilig sprechen.«
    »Ich glaube nichts dergleichen«, versicherte ich ihm.
    »Er war ein guter Mann, aber gewiss kein Heiliger«, erklärte Torf-Einar in säuerlichem Tonfall. »Der Teufel soll mich holen, aber ich habe nie wieder einen Mann gesehen, der so viel dämliche Fehler begangen hat. Einen nach dem anderen und so schnell. Er schien beinahe zu fürchten, nicht schnell genug zu sein, um noch weitere Dummheiten anstellen zu können. Gottfried mag ja ein tapferer Kämpfer gewesen sein, ein König war er nicht. Das hat er mit der Eisernen
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