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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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ich. Ich bete, dass die Schnelle Sichere Hand den Weg für uns bereitet, denn ich kann es nicht erwarten, euch beide unter einem Dach zu sehen. Wenn ich wieder meine Familie um mich habe, dann verspreche ich, nie wieder die wilden Hügel Schottlands aus den Augen zu lassen. Das ist ein Eid, den ich nur allzu gern erfüllen werde.
    30. N ovember 1901 P aphos , Z ypern
    aphos glitzert im warmen Herbstlicht. Die weiß getünchten Fischerhäuser schimmern, während ich auf eine Bucht hinausblicke, die aus flüssigem Silber zu bestehen scheint. Die Luft am späten Nachmittag ist angenehm und duftet nach Limonenblüten, und ich habe weit länger über meiner Arbeit geschlafen, als ich beabsichtigt habe.
    Hier in diesem uralten Fischerdorf, von der Sonne und guten Luft verwöhnt, scheint mir das verregnete Schottland in der Tat weit weg zu sein. Wenn Caitlin und ich die gewundenen Straßen dieses charmanten, ruhigen Orts entlangschlendern, fällt es schwer, sich die eiskalten Nordseewinde vorzustellen, die durch Edinburgh wehen, während der Winter sich darauf vorbereitet, die letzte Unze Geduld aus der zähen schottischen Seele zu quetschen, bevor er widerwillig seine Herrschaft an einen traurigen und düsteren Frühling abgibt.
    Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich hier die wunderbarsten Ferien meines Lebens verbracht habe. Auch wenn ich erst seit ein paar Wochen hier bin, so habe ich doch schon das Gefühl, den Rhythmus des Dorfes wie ein Einheimischer zu kennen. Um es kurz zu machen: Ich habe mich in diese kleine Insel mit ihrem altmodischen, gemütlichen Charme verliebt. Es mag ja vielleicht schwärmerische Romantik sein - die Krankheit des Schotten im Ausland aber ich glaube, die Dörfler haben uns auch ins Herz geschlossen. Zumindest sind wir schon lange genug hier, dass die Zyprioten nicht
    mehr nur die Kuriosität in uns sehen, die wir sicherlich sind.
    Die kleinen Damen - Fischfrauen und Witwen zumeist, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und mit schwarzen Schals um die Schultern - grüßen nun eifrig, wenn sie uns auf unseren morgendlichen Expeditionen zum Markt begegnen. Und die Ladenbesitzer und Markthändler scheinen Gefallen an Caitlin gefunden zu haben. Jeder will sie berühren. Sie tätscheln ihr die Hand, streicheln ihr übers Haar und behandeln sie wie eine Göttin, die plötzlich in ihrer Mitte erschienen ist: die wieder geborene Aphrodite mit dem Lächeln eines Engels und dem schnurrenden Akzent einer Schottin.
    So verzaubert sind wir von Zypern, dass ich mich bereits nach einem kleinen Haus in Kato Paphos umgesehen habe, wo Cait und ich herumwerkeln können, wenn meine Tage als Anwalt vorüber sind. In den wenigen Wochen seit unserer Ankunft habe ich das Gefühl gewonnen, neu geboren worden zu sein. Ich vermute, die Jahre trübsinniger Rechtsgeschäfte haben ihren Tribut gefordert. Ohne es zu bemerken, habe ich mir nach und nach die Routine eines pflichtbewussten Arbeitstiers angeeignet und bin in meiner wenigen Freizeit banalen Vergnügungen nachgegangen. Mein Leben war zu einer bequemen, um nicht zu sagen monotonen Gleichförmigkeit herabgesunken, die genauso tödlich für die Seele ist wie die Sünde.
    Ich weiß jetzt auch, warum ich hierher gesandt worden bin - und warum es notwendig war, dass Caitlin mich begleitete. Während der letzten paar Wochen befand ich mich auf einer Queste - auf einer Pilgerfahrt, wenn man so will -, die mich von Grund auf verändert hat. Ich weiß jetzt, wer ich bin, und wichtiger noch, ich kenne meine Ahnen und meinen Stammbaum. Ich weiß jetzt, dass meine Auswahl durch die Sieben kein Zufall war. Ich gehöre einer alten und edlen Sippe an.
    In diesen letzten gesegneten Tagen des Lichts und der Wärme, bevor die Dunkelheit und die Kälte der Schlacht sich herabsenken, hat man mir ein unschätzbares Geschenk gemacht, um mich durch die vor uns liegende bittere Zeit zu bringen.
    In diesen letzten Tagen habe ich etwas von der berauschenden Tollkühnheit und dem Gefühl des Sich-Verlierens zurückerlangt, das ich zuletzt empfunden habe, als ich in jenem glühend heißen Feuer meiner Vision den Stift aufs Papier gedrückt habe. Zu jener Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, den Verstand zu verlieren; ich fürchtete, wahnsinnig zu werden, sollte ich auch nur einen Augenblick lang aufhören zu schreiben, und in die bodenlose Grube der Demenz zu stürzen, wo ich dann auf ewig etwas suchen würde, das ich verloren hatte, doch von dem ich nicht mehr wusste, was es war
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