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Zeit-Odyssee

Zeit-Odyssee

Titel: Zeit-Odyssee
Autoren: Keith Laumer
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2.
     
    Eine Straßenbahn rasselte funkenschlagend über die Kreuzung. Menschen eilten vorüber, auf dem Heimweg von einem langen Arbeitstag. Ich bewegte mich ohne Eile gegen den Strom. Ich hatte viel Zeit. Das gehörte zu den Lektionen, die ich gelernt hatte. Man kann nichts beschleunigen, man kann nichts aufhalten. Manchmal kann man etwas ganz umgehen, aber das ist wieder etwas anderes.
    Diese Überlegungen brachten mich vier Straßen weiter bis zu dem Taxistand an der Delaware Avenue. Ich nahm im Fond eines Reo Platz, der aussah, als hätte er schon ein ganzes Jahrzehnt zuvor aus dem Verkehr gezogen werden müssen, und sagte dem Taxifahrer, wohin ich wollte. Er warf mir einen erstaunten Blick zu; anscheinend fragte er sich, was denn ein anständiger, junger Mann wie ich in jenem Stadtviertel zu suchen habe. Schon öffnete er den Mund, um seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, da ergänzte ich: »Wenn Sie’s in weniger als sieben Minuten schaffen, ist ein Fünfer für Sie drin.«
    Unterwegs musterte er mich immer wieder im Rückspiegel; anscheinend versuchte er eine Möglichkeit zu finden, wie er mir die Fragen stellen konnte, die ihm auf der Zunge lagen. Ich sah die Neonbuchstaben, so grell wie rotglühendes Eisen, schon einen halben Häuserblock vor dem Ziel, ließ ihn halten, schob ihm den Fünfer in die Hand und war ausgestiegen, noch ehe er seine Fragen formulieren konnte.
    Es war eine schäbig-vornehme Cocktailbar, die in ihre Umgebung paßte. Zwei Stufen führten in einen Raum hinab, der früher, lange vor der Prohibitionszeit, einmal sehr elegant gewesen sein mußte. Die dunkel getäfelten Wände hatten nicht sehr unter der Zeit gelitten, und die profilierte Decke war, von einem Schmutzüberzug abgesehen, noch recht passabel; über den kastanienbraunen Teppich jedoch zog sich ein breiter, abgetretener Streifen, der wie ein Dschungelpfad zur Bar hinführte und dessen Abzweigungen sich zwischen den Stuhlbeinen verloren. Die strapazierfähigen Ledersitze in den Nischen waren verblichen, ihre Nähte teilweise mit Klebstreifen geflickt. Und niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Bierringe zu entfernen, die Generationen von Gläsern auf den Tischplatten aus Eichenholz hinterlassen hatten. Ich wählte eine Nische, die ungefähr in der Mitte lag; sie wurde von einer kleinen Messinglampe mit Pergamentschirm beleuchtet, und an der Wand hing ein gerahmter Druck, der irgendeinen Steeplechase-Sieger von ungefähr 1910 zeigte. Auf der Uhr über der Bar war es 19.44 Uhr.
    Ich bestellte einen Grenadine bei einer Kellnerin. Sie brachte ihn, ich trank einen Schluck, und dann glitt ein Mann mir gegenüber auf die Sitzbank. Er atmete ein paarmal tief, als hätte er gerade einen Waldlauf hinter sich, und fragte mich: »Gestatten sie?« Dabei deutete er mit dem Glas in seiner Hand auf den Gastraum, der zwar besetzt, aber keineswegs überfüllt war.
    Ich musterte ihn in aller Ruhe. Er hatte ein weiches, rundes Gesicht, sehr helle, blaue Augen und einen Kopf, den man sich gut mit einer Glatze vorstellen konnte, der aber statt dessen mit einem feinen, blonden Flaum bedeckt war. Der offene Kragen seines gestreiften Hemdes war über die dicke, karierte Jacke mit den wattierten Schultern und den breiten Aufschlägen geklappt. Sein Hals war faltenlos, aber zu mager für seinen Kopf. Die Hand, in der er das Glas hielt, war klein, gepflegt und wies makellos manikürte Fingernägel auf. Am linken Zeigefinger trug er einen schweren Goldring mit einem riesigen Glasrubin. Alles in allem wirkte seine Erscheinung ein wenig unharmonisch, fast so, als hätte ihn jemand, der Wichtigeres im Kopf hatte, in aller Eile nachlässig zusammengesetzt.
    »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er, und seine Stimme entsprach genau dem Gesamteindruck, den er hinterließ: nicht feminin genug für eine Frau, aber auch keineswegs so, daß man sie sofort mit einem Zimmer voller Zigarrenrauch in Zusammenhang gebracht hätte.
    »Ich muß unbedingt mit Ihnen sprechen, Mr. Ravel«, fuhr er sodann hastig fort. »Es ist sehr wichtig … für Sie und Ihre Zukunft.« Hier hielt er inne, um die Wirkung seiner Worte abzuwarten, zögerte, als hinge es von meiner Reaktion ab, ob er in dieser oder in jener Richtung weiterging.
    »So, so für meine Zukunft«, sagte ich. »Ich wußte gar nicht, daß ich eine habe.«
    Meine Antwort gefiel ihm. »Aber ja«, versicherte er und nickte beruhigend. »Doch, natürlich.« Er nahm sein Glas, trank einen Schluck,
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