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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Autoren: Klaus Funke
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    Obwohl vor wenigen Augenblicken hinter dem Horizont versunken, ließ die Sonne die Fensterscheiben in der oberen Etage der Villa auf geheimnisvolle Weise erglühen. Beinahe schien es, als stünden die Zimmer dahinter in Flammen; die kleinen Unebenheiten der Scheiben sandten ein geheimnisvolles Glühen und Glimmen zum Auge des einsamen Betrachters, welcher, einen weißen weiten Hut auf dem Kopfe, der Villa gegenüber im weitläufigen Garten neben einem Rhododendronbusch stand. Der Mann blinzelte, nahm den silbernen Zwicker von der Nase, kniff die kleinen, seltsam tief liegenden Augen zusammen und wandte sich dann mit einem Seufzer ab. Kommt, Seelchen, Geistchen, rief er zwei zottigen weißen Terriern zu, die unter dem Strauch geschnüffelt hatten und jetzt etwas auszugraben schienen.
    Lasst die Fossilien, kommt, wir gehen hinüber ins Haus.
    Als er dann über die Straße auf das Gartentor zugeht, kratzen die Hunde schon an den weißen Latten der Pforte. Ja, sie winseln sogar. Da kommt von rechts ein uniformierter Postbote in eiligem Schritt heran. Im Laufen reißt er seine schwere Umhängetasche auf und zieht einen Brief hervor. Herr Doktor May! ruft er ein wenig außer Atem. Herr Doktor! Halt, warten Sie, entschuldigen Sie die späte Störung, es ist nur dieser einzelne Brief hier, ein Eilbrief, Extrazustellung, eine Ausnahme, wo ich sonst bei den Normalzustellungen am hellen Tage, Sie wissen, mich halb lahm schleppe an Ihren Briefen. Eine Eilzustellung diesmal nur, ein Einschreiben, allerdings. Wenn Sie hier … und er hält mit geübten Fingern Stift und Block in der Hand.
    Man kennt sich, wechselt beinahe täglich ein paar Worte. Geben Sie her, mein lieber Persicke, sagt Karl May freundlich in seinem vertraulich sächselnden Ton, auch ein einzelner Brief kann eine Freude sein, selbst, wenn er um diese Zeit überreicht wird, ja, manches Mal sogar mehr als ein ganzes Dutzend. Also, geben Sie ihn her!
    Er nimmt den Brief an sich. Wo soll ich unterschreiben?
    Hier bitte, Herr Doktor, sagt der Postbeamte Persicke, zwirbelt mit den Fingerspitzen die Schnurrbartenden, verneigt sich leicht. Sehen Sie noch genug, Herr Doktor, es geht ja schon auf Neune? Hab ich mich verspätet, heute. Verzeihen Sie.
    May runzelt die Stirne. Lassen Sie doch den „Doktor“ – May genügt vollständig. Ein einfacher May ist manchmal mehr wert als ein „Doktor“!
    Gewiss, Herr Do … Herr May. Hier bitte, unten rechts, wenn’s beliebt.
    Plötzlich wird der Beamte Persicke verlegen, verstaut schnell den Block, den Stift behält er in der Hand, dann greift er noch einmal in seine große Tasche und hält dem verdutzten May ein Buch vor die Nase.
    May sieht es gleich, es ist die Freiburger Erstausgabe von seinem „Winnetou, der rote Gentleman“ aus dem Jahre 93. Zehn Jahre ist das nun schon her. Dreiundzwanzigtausend Reichsmark! So viel Geld in einem Jahr nur für dieses eine Buch. Ein schöner Anfang. Und das Deckelbild! Wie stolz ist er damals darauf gewesen. Er ist vor Emma in der Küche herumgetanzt und hat das Buch geschwenkt wie einen Weihrauchkessel. Hat das Umschlagbild geküsst. Wieder und wieder. Emma! Emma, Liebste, hat er ausgerufen. Reich wirst du werden. Dein Schatz wird dir Schätze überreichen. Vielleicht hängt zu Weihnachten wieder ein neuer Tausendmarkschein am Tannenbaum. Oh ja, damals hat er noch gedacht, die Ehe mit Emma würde eine gute, eine schöne Ehe und vielleicht wäre sie mit Geld, mit viel Geld zu retten. Und sein Winnetou könne dabei helfen, hat er gedacht, sein Winnetou bei einem richtigen Verlag, wie dem Fehsenfeld’schen in Freiburg. Und das erste Winnetou-Buch ist dann ja auch einer der großen Erfolge aus der Anfangszeit mit diesem Verleger geworden.
    May erinnert sich, die Gedanken blitzen ihm durch den Kopf:
    Sie stehen sich gegenüber. Friedrich Ernst Fehsenfeld, der Verleger, groß, rotblond, stattlich, kerzengerade, Anfang vierzig, und er, May, fast einen Kopf kleiner, die Beine kurz und ein wenig krumm. Er sieht an sich herunter und lacht: Ja, ich bin zu kurz geraten. Das liegt an meinen Reiterbeinen, wenn man, wie ich, ein ganzes Leben im Sattel saß. Fehsenfeld lächelt, verneigt sich, man kann ihm nicht ansehen, ob er es glaubt, was sein neuer Autor ihm hier auf dem kleinen Vorortbahnhof auftischt oder nicht – ach ja, dieser Autor May, das Haar schon etwas grau, an die fünfzig, die Gürtelschnalle sitzt im vorletzten Loch. May weiß: Ein freundlicher Herr, dieser Sachse May, hat sich
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