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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Autoren: Klaus Funke
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mit den eher asexuell skizzierten Figuren und den ausgeprägten Vorstellungen Mays von einer attraktiven, womöglich nirgends anstoßenden, seinen ureigenen Vorstellungen entsprechenden und doch die Leser gleichermaßen anziehenden Bebilderung der Werke, die den androgynen oder mit anderen Emotionen geschaffenen Entwürfen Sascha Schneiders wenigstens in Teilen zuwiderlief. Wie stark muss der unbewusste Wunsch Mays, wie groß seine Selbsttäuschung gewesen sein, bei ihm, der doch über so viele Jahre und Jahrzehnte hinweg den Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen seiner Leser so geschickt und innovativ entsprochen hatte und sich auch mit einigem Recht als der bessere, wenn nicht überhaupt als
der
bessere Werbefachmann, jedenfalls geschickter und einfallsreicher als der in dieser Hinsicht konservativere Fehsenfeld, von Anfang an dünkte. Schneider, so will uns scheinen, hatte Mays Figuren und unbewusste Intentionen vielleicht in mancher Hinsicht besser, tiefer und offenherziger begriffen als der Autor zuweilen selbst. Da mussten zuweilen auch die künstlerischen Konzepte der Freunde zusammenstoßen. May selbst hielt sich, auch gegenüber seinem Verleger, jedenfalls zumeist für den besseren Kenner der Erwartungen und Prädispositionen seiner Leser und verfolgte dabei ausgesprochene, aber auch nicht immer aufgedeckte Strategien und Taktiken. Vieles, was der Leser als Worte des Verlegers las, war von Beginn an in Wahrheit den Formulierungskünsten Mays in der Verlagswerbung und seiner unbestreitbaren Fähigkeit zum erfinderischen Selbstlob bis hin zur Selbstbeweihräucherung geschuldet. Der Dichter in ihm ließ ihn aber bei aller Intelligenz und raffinierten Geschicklichkeit doch des Öfteren die bittere und so bald veränderte Realität der Jahre nach 1900 übersehen, überdecken und verdrängen. Und so, wie May in Sascha Schneider in einem gewiss übersteigerten Enthusiasmus einen modernen Michelangelo entdeckt haben will, so ist Sascha Schneider sicher von der erzählerischen Fantasie und schöpferischen Kraft seines Freundes ungemein fasziniert gewesen. Die von allen äußeren Anfechtungen, Missverständnissen und anderen Eintrübungen letztlich unangefochtene Freundschaft des Schriftstellers und des Malers stellt beiden nur das allerbeste Zeugnis aus. Der zeitgenössische Leser wird die künstlerische Sicht und Einsicht Sascha Schneiders, die sich in den jugendstilgeprägten Deckelbildern zeigt, selten und in der Regel ebenso wenig akzeptiert haben wie der erfahrene und die Wünsche und Erwartungen der Leser aufs Genaueste kennende Verleger in Freiburg. Fehsenfelds geradezu rührendes, vergebliches Bemühen, den Schriftsteller statt der Predigten an die Menschheit oder statt der von vorherein erfolglos erscheinenden dramatischen Versuche wieder zu den so lange Jahrzehnte erfolgreichen Erzählungen zurückzubringen, müssen an Mays Hoffnung, sich von den Schatten seiner Vergangenheit und von dem Odium der moralisch, pädagogisch und ideologisch fragwürdigen Kolportage gänzlich zu lösen, mehr als einmal scheitern. Und so wird denn auch bald die Beziehung zu Fehsenfeld, zu dem die erste Frau Mays, Emma, eine freundschaftlichere Beziehung hatte als die nunmehrige Herrin im Hause Old Shatterhands, Klara, in vielfacher Hinsicht offen oder untergründig belastet. Das scheinbar ungetrübte Bild, das May von Fehsenfeld in einem Roman als „Pedehr“ zeichnet, ist, wenn man genau liest, auch insgeheim von der einen oder anderen berechtigten oder zutiefst ungerechten Enttäuschung gezeichnet. Was immer an Täuschung, an Selbsttäuschung, an sorgsam gehüteten Geheimnissen aus Vergangenheit und Gegenwart unter den Beteiligten waltet und wirkt – die Realität holt sie unweigerlich ein. Funkes Roman ist so gesehen nicht etwa eine bloße Aneinanderreihung kennzeichnender Episoden und Szenen, sondern eine zwar romanhafte, aber doch sehr realitätsgesättigte Darbietung dessen, was sich in der Fantasie der Protagonisten, ihrer Erinnerung und ihrem Leben tatsächlich abspielt oder abgespielt haben mag. Die Freiheit des Erzählers ist zugleich die seiner Leser.
    Es ist auch eine tragische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die wir konstatieren können. Wenn die Zeitgenossen die frühen Erzählungen Mays liebten, wenn er alsbald auch in das Kreuzfeuer seiner unterschiedlichsten hochgefährlichen Gegner geriet, wenn er seine für diese Zeit nahezu unfasslich große Leserschaft mit seinem Spätwerk mehr als nur enttäuschte
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