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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Autoren: Klaus Funke
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den Brief weggesteckt, nur schnell und ohne Aufsehen, und jetzt, wo er den Brief aus der Tasche zieht, beschleicht ihn sogleich wieder jenes Unbehagen, was ihn auch das Papier so rasch verschwinden lassen ließ: Gedanken an Unerfreuliches, an eine Nachricht seines Anwaltes Bernstein oder vom Gericht. Doch er atmet erleichtert auf, als er sieht, der Brief stammt von seinem neuen Künstlerfreund, dem Maler Sascha Schneider aus Meißen. Domstadt Meißen, liest er, Zaschendorfer Straße 81, und er sieht sofort vor seinem inneren Auge das imposante, einer kleinen Burg ähnliche Gebäude, hoch aufragend, in dunklem Grau, erinnert sich seines Besuches bei dem Maler vor nicht einmal zwei Wochen. Ja, Anfang Juni ist das gewesen. Genau am achten. Ja. Er weiß noch alle Einzelheiten: Von der Weintraube ging es mit der Kleinbahn nördlich, die Elbe tauchte von Zeit zu Zeit zwischen den Hügeln, den Weinhängen und kleinen Waldungen auf, ein fernes, geheimnisvoll schimmerndes Band. Den Ort Coswig durchfuhr der Zug ohne zu halten, irgendwo links dann der Boselfelsen, überall kleinere Gehöfte mit ziegelroten Dächern, Obstplantagen, sprießende Blätter überall, leuchtende Wiesen, ein zeitiges Frühjahr in diesem Jahr, sogar das Vieh war schon draußen, Neusörnewitz kam in Sicht, und schon war der Haltepunkt Zaschendorf erreicht, die letzte Station, bevor der glänzende eiserne Schienenstrang in weitem Bogen zum rechtselbischen Meißen führt und dann das dunkle Wasser der Elbe quert. May stieg aus. Allein. Kein anderer Fahrgast weit und breit. Und obwohl eine Droschke auf Fahrgäste wartend am Bahnhofshäuschen stand, war er zu Fuß über die Felder zur Ziegelstraße gegangen, dann hinüber auf die Zaschendorfer, die gut gepflasterte breite Fahrstraße zur nahen Stadt. Einen Bauern hatte er nach dem Haus des Malers gefragt. Dorte de Trutze! der gebräunte Bauernarm zeigte auf ein Gebäude, nicht einmal einen Kilometer entfernt. Tatsächlich wie eine Burg, schon von Weitem sah man das Schneider’sche Haus, mit dem Rücken gegen den Wald und den Hang gelehnt, mächtige gemauerte Stützpfeiler, bis zum ersten Geschoss reichend. An der Vorderfront oben ein hölzerner Balkon, überdacht, im italienischen Stil, zahllose hohe Fenster mit gewölbtem Sturz, vor dem Haus wie ein Schutzwall allerlei mannshohe Sträucher, auch Nadelgehölze, ohne gärtnerische Sorgfalt.
    Eine Festung! lächelte May und schritt den kleinen, steinigen Weg hinan.
    Der Maler öffnete im beklecksten Kittel, in der linken Hand zwei oder drei Pinsel, eine blaue Kappe auf dem Kopf.
    Sie sind Herr Doktor May? Sie haben telegrafiert! rief Schneider und wischte sich die Hand am Kittel ab.
    Lassen Sie den „Doktor“, sagen Sie lieber „Old Shatterhand“.
    Old was? fragte der Maler und runzelte die Stirn.
    Old Shatterhand, der mit dem Schlag! May imitierte lachend seinen berühmten Faustschlag. Doch der Künstler schien noch immer nicht zu verstehen. May zog aus einer kleinen Ledertasche den „Winnetou I“, zeigte mit dem Finger auf das Titelbild. Das ist mein Freund Winnetou, ich bin der Verfasser. Ein Mitbringsel für Sie! Der Maler lächelte verlegen, während er die Pinsel weglegte und das Buch ergriff. Oh, vielen Dank. Seien Sie mir nicht böse, Herr Doktor, ich hörte wohl von diesem Buch und von anderen aus Ihrer Feder auch … aber ich hab’s noch nicht gelesen …es tut mir wirklich leid.
    May betrachtete den Maler mit zusammengekniffenen Augen. Schneider war Anfang dreißig, ein höchstens mittelgroßer Mann mit Bauchansatz, vielleicht sogar einen halben Kopf kleiner als May, das braune Haar, welches ins Rötliche spielte, trug er in der Mitte gescheitelt, die Nase etwas plump und ziemlich kurz, darunter ein Bärtchen, der Mund sinnlich, wenn auch mit einem harten, verbissenen Zug, indes beeindruckten die hellen blaugrünen Augen, mit ihnen blickte er stechend starr und prüfend auf alles und jeden. Auch jetzt sah er sein Gegenüber in dieser Weise an.
    May senkte den Blick. Nun, das macht ja nichts, sagte er in leiserem Ton. Jedenfalls, ich musste Sie unbedingt kennenlernen. Deshalb mein Telegramm, deshalb der heutige Überfall. Verzeihen Sie mir. Ich will es Ihnen erklären, das ist so gekommen: Anfang Mai bin ich, als ich mit meiner Frau Klara voller Neugier, wie ich gestehe, ja voller Neugier, aber auch mit einiger Andacht, durch die Säle des Kunstvereins in Dresden wandelte, vor einem Bild von Ihnen, mein lieber Schneider, mindestens eine
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