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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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an dem man Langeweile zu einer Kunstform perfektionieren würde - wenn man denn meine bisherigen Erfahrungen als Maßstab nahm.
    Nachdem ich mich von dieser drückenden häuslichen Pflicht befreit hatte, eröffneten sich mir eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Ich dachte darüber nach, das Diner im Club zu mir zu nehmen, entschied mich aber schließlich für ein frühes Abendessen, was mir genug Zeit für die Droschkenfahrt zu der kleinen Kapelle geben würde, wo sich unsere geheime Verbindung bisweilen traf. Mit reuevollem Herzen, doch erfüllt von einer kindlichen Erregung dachte ich über die Alternativen nach, die sich mir boten. In der Hanover Street gab es mehrere neue Restaurants, die mir von einem meiner jüngeren Kollegen empfohlen worden waren. Schließlich entschied ich mich.
    Nachdem ich mein Tagespensum abgearbeitet hatte, blieb ich noch eine Weile im Büro und erledigte ein paar kleinere Aufgaben, bis ich sicher war, dass die anderen Angestellten nach Hause gegangen waren, sodass niemand mir folgen konnte, auch nicht durch Zufall. Es schadet niemandem, wenn ich bei diesen seltenen Gelegenheiten, da wir uns treffen, ungewöhnliche Vorsicht walten lasse, doch ohne Zweifel dienen diese Maßnahmen mehr meinem persönlichen Amüsement als sonst irgendetwas; allerdings fühle ich mich dadurch einfach besser. Ich will auf jeden Fall vermeiden, dass der Innere Kreis durch einen Fehler meinerseits, sei er auch noch so klein, kompromittiert wird.
    Nach einem Pint Porter im Wallace Arms machte ich mich auf den Weg zu Alexander's Chop House, wo ich bei einem Glas erstklassigen Bordeaux einen passablen gerösteten Hasen in Senfsoße aß, bevor ich schließlich eine Droschke bestellte. Da es ein für die Jahreszeit ungewöhnlich milder Abend war, bat ich den Kutscher, das Verdeck zurückzuschlagen, und so genoss ich eine herrliche Fahrt durch die Stadt hinaus aufs Land. Ich verabredete mich mit dem Kutscher für die Rückfahrt, und nachdem er außer Sichtweite war, ging ich die letzte Meile zur Kapelle zu Fuß, um mich dort mit den anderen zu treffen.
    Als ich mich dem Ort näherte, sah ich jemanden vor mir den Weg entlangeilen; ich erkannte den Mann als De Cardou, doch grüßte ich ihn nicht. In der Öffentlichkeit beachten wir einander nie. Selbst den niederen Rängen der Bruderschaft legt man nahe, andere Mitglieder auf der Straße nicht zu grüßen, auch nicht im Vorübergehen. Für die Novizen ist das Ausdruck einer Disziplin, die sie, pflichtgetreu umgesetzt, beizeiten in unserer Verbindung aufsteigen lassen könnte; für den Inneren Kreis ist diese Ignoranz jedoch eine Notwendigkeit - heute mehr denn je, falls so etwas überhaupt möglich ist.
    Zugegebenermaßen scheint solch ein geheimnisvolles Verhalten weit weg von der ehrlichen Einfachheit des Lebens auf der griechischen Insel zu sein, auf der ich mich jetzt befinde. Hier, in den sonnendurchfluteten Hügeln über Paphos, fällt es einem leicht, die Sturmwolken zu vergessen, die sich im Westen zusammenbrauen. Doch die Schrift steht an der Wand und ist für jedermann deutlich zu lesen. Selbst ich, der neueste Rekrut unseres heiligen Ordens, erkenne die Gefahren, die ein oder zwei Jahre zuvor noch nicht existiert haben, und die sich von nun an nur noch vergrößern werden. Falls ich je die Wichtigkeit der Bruderschaft bezweifelt haben sollte, nun tue ich es nicht mehr.
    Unser Treffen in dieser Nacht war feierlich und ernüchternd. Wir trafen uns in der Sternenkammer, die unter der Kanzel verborgen ist, da sie eine angenehmere Umgebung für Gespräche bietet als der Hauptraum. Ich nahm meinen Platz an dem runden Tisch ein, und nach dem Eröffnungsritual und dem anschließenden Gebet bat Ge-notti, die Versammlung mit einem Bericht über die Interessen der Bruderschaft in Südamerika eröffnen zu dürfen und über die Notwendigkeit, in dem sich rasch verschlechternden politischen Klima zu intervenieren. »Während der Friedensvertrag zwischen Brasilien und Chile, der im Januar vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, nach wie vor in Kraft ist«, begann er, »hören auch die Bemühungen nicht auf, ihn zu unterminieren. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Agenten von Caldero, einer gefährlichen, anarchistischen Gruppierung, einen Angriff auf den Palast des chilenischen Präsidenten planen. Für diesen Angriff wird man Brasilien verantwortlich machen. Das ist Teil der Bemühungen, den Konflikt zwischen den beiden Regierungen wieder offen ausbrechen zu
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