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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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Hundematte wäre besser gewesen als Torfs halb verfaulte Lumpen. Meine Frau Mutter hätte es vorgezogen, wenn er ein Bad genommen hätte, bevor er unter ihr Dach kam, doch davon wollte er nichts wissen.
    Als eine Magd sich ihm mit heißem Wasser und einem kleinen Stück schottischer Seife näherte, beschimpfte er sie so grausam, dass sie in Tränen ausbrach und davonrannte. Er rief den Himmel an, seinen Eid zu bezeugen, dass er erst wieder gebadet werden wolle, wenn man ihn für das Grab vorbereitete. Zu guter Letzt erklärte Mur-do, man solle ihn allein lassen, und Frau Ragna musste sich dem fügen. Doch gestattete sie keiner ihrer Mägde und Zofen, ihn zu bedienen, und sagte, dass der Stallbursche sich um ihn kümmern solle, solange er noch nicht einmal die einfachsten Grundregeln der Höflichkeit beherzige. Nach einiger Zeit fiel mir allerdings auf, dass sie selbst sich sogar des Öfteren um ihn bemühte.
    Dass Torf-Einar tatsächlich zum Sterben nach Hause gekommen war, wurde bald offensichtlich. Seine Wunden hörten nicht auf zu eitern, sodass sie ihm nach und nach auch noch den letzten Rest an Kraft raubten. In jener ersten Nacht wollte es der Zufall, dass ich an der Stelle vorüberkam, wo er auf der Pritsche lag, die mein Vater ihm hatte bereiten lassen, und ich hörte etwas, was ich für das Wimmern eines Tieres hielt. Vorsichtig trat ich um den Wandschirm herum, um mich zu vergewissern, dass nichts im Argen lag. Ich sah, wie einer der Hunde über die Verletzungen an den Beinen leckte. Der Schmerz ließ den armen Torf im Schlaf jammern.
    Jesus verzeih mir, aber ich hatte weder die Kraft, daneben zu stehen, noch, das Tier zu vertreiben. Ich drehte mich einfach um und überließ Torf-Einar seinen unglücklichen Träumen.
    Im Laufe der nächsten Tage lernte ich viel über das Leben im Osten. So krank, wie er war, erzählte Torf doch jedem alles, der ihm in seinem Fieber zuhören wollte. Aus Mitleid nahm ich es häufig aufmich, ihm das Abendessen zu bringen, um meiner Mutter ein wenig von dieser qualvollen Arbeit abzunehmen, und während er aß, pflegte ich mich neben ihn zu setzen. So hörte ich viel über Torfs Leben in der Grafschaft Edessa. Dabei erfuhr ich auch, was aus dem armen Skuli geworden war.
    Getreu seinem Wort hatte Herr Balduin Torf und Skuli Land als Gegenleistung für ihre Dienste gegeben, und er war ausgesprochen großzügig in seinen Gaben gewesen. Den beiden Brüdern hatte der Graf aneinander grenzende Ländereien geschenkt, sodass ein großes, einheitliches Gebiet entstanden war, das sie miteinander teilen konnten. »Unsere Festung in Khemil wurde von einem Palast mit fünfzig Räumen gekrönt«, prahlte Torf eines Abends, während ich ihn mit Schweinsbrühe und Schwarzbrot fütterte. Seine Zähne waren verfault und schmerzten ihn; also musste ich das Brot in Stücke brechen und in der Brühe aufweichen, bevor ich es ihm gab. Er kaute eine Weile mit dem Gaumen darauf herum und schluckte es schließlich hinunter. »Fünfzig Räume! Hast du das gehört?«
    »Das sind sehr viele Räume«, gestand ich ein. Mein Onkel war offensichtlich nicht nur krank, sondern auch nicht mehr ganz bei Verstand.
    »Wir hatten achtundsechzig Diener und vierzig Dienerinnen. Unser Schatzhaus besaß eine Tür so dick wie der Leib eines Mannes, und sie war mit Eisen beschlagen. Es bedurfte zweier Männer, sie zu öffnen. Der Raum selbst war so groß wie ein Kornspeicher und aus dem Felsgestein herausgebrochen.« Wieder kaute er eine Zeit lang auf seinem Brot herum, dann fügte er hinzu: »So wahr mir Gott helfe, in den ersten Tagen war dieser Raum stets bis an die Decke gefüllt.«
    Ich nahm an, er würde lügen, um seine traurige Geschichte weniger armselig klingen zu lassen, denn vermutlich hatte er von diesen Reichtümern nur geträumt, und es widerte mich an, dass er so dumm und goldgierig war. Aber, meine liebe Cait, ich war der Dummkopf an jenem Abend.
    Nachdem ich in den Osten gekommen bin, habe ich rasch herausgefunden, dass Torf die Wahrheit gesprochen hat. Mit meinen eigenen Augen habe ich Paläste gesehen, die jenen in Khemil wie einen Kuhstall wirken lassen, und Schatzkammern größer als selbst die Halle deines Großvaters Murdo - Schatzkammern gefüllt mit solchen Mengen an Gold und Silber, dass sogar der Teufel in seiner Gier vor Neid erblasst.
    In jener Nacht jedoch glaubte ich Torf nicht ein einziges Wort von dem, was ich für Prahlerei hielt. Ich fütterte ihm sein Brot und machte kleinere
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