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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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meine unbeholfene Schrift, deren Entzifferung sie an den Rand der Verzweiflung getrieben hat.
    So sitzen wir dann zusammen, der liebe Bruder und ich; er bittet mich, ihm die Bedeutung einer Stelle zu erklären, und ich versorge ihn mit einer Geschichte, die im Nachhinein doch wieder anders ist, als ich sie damals niedergeschrieben habe. Der nachsichtige Schreiber mag es jedoch nicht, wenn ich zu verbessern versuche, was ich geschrieben habe. Er besteht darauf, dass es so kopiert werden muss, wie ich es zuerst niedergeschrieben habe. Dies, so erklärt er mir immer wieder, garantiert die Echtheit des Berichts - das ist etwas, was die anspruchsvollen Brüder ausgesprochen hoch einschätzen, wie mir scheint. Doch andererseits bin ich ja auch kein Gelehrter und werde es auch niemals sein. Trotzdem kann ich nicht anders; die Erinnerungen kommen immer wieder, und sie sind so klar; je mehr ich erzähle, desto mehr erinnere ich mich. Meine geduldigen Schreiber schreiben alles nieder, ohne sich zu beschweren, und wie Weber fertigen sie aus unzähligen Fäden ein Bild. So wächst mein Werk unter den fleißigen Händen dieser rechtschaffenen Brüder.
    Auch Abt Demitrianos besucht mich jeden Tag. Er erzählt mir, dass ich in den ersten paar Wochen - wie er sich ausdrückt - >nicht auf dieser Welt< gewesen sei. Auch war ich nicht in der nächsten Welt, wie ich gestehen muss, denn ich erinnere mich an nichts mehr außer an immer wiederkehrende Perioden von Hell und Dunkel; Tage vielleicht, außer das sich dieses Hell und Dunkel so rasch abwechselte wie die Speichen eines sich schnell drehenden Rades. Und dann war da noch das ständige leise, ferne Murmeln beruhigender Stimmen, das oft von einem gewissen rauchigen Geruch begleitet war. Man hat mir erzählt, dass ich zwischen Leben und Tod gehangen hätte, und in den Zeiten, da ich den Rauch bemerkt hatte, hätte ich mich wohl dem göttlichen Altar genähert und bereits den himmlischen Weihrauch gerochen.
    Was das betrifft, so weiß ich sogar noch weniger. Sollte hinter dem Schleier wirklich das Paradies gewartet haben, so habe ich es zumindest nicht gesehen; der Schleier hob sich nie, und so blieben die Geheimnisse des ewigen Lebens meinen neugierigen Blicken verborgen.
    Später, als ich aus meinem langen Schlaf erwachte, war das Erste, was ich sah, nachdem meine Augen ob des ungewohnten Lichts nicht mehr tränten, das liebliche Gesicht von Sydoni, die meine glühende Stirn mit einem Tuch befeuchtete. Denn auch sie hat mich ständig besucht, ist sogar kaum von meiner Seite gewichen, außer wenn auch sie sich hat ausruhen müssen.
    Die griechischen Mönche gestatten für gewöhnlich nach Sonnenuntergang Frauen keinen Zugang mehr zu ihren Klöstern, aber der weise Abt hat Sydoni einen Dispens erteilt. Angesichts der Umstände war dies sowohl eine Notwendigkeit wie auch ein Segen -außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass sie den guten Brüdern einen Kampfgeliefert hätte, hätten sie versucht, sie fortzuschicken. Sie war für mich eine Quelle der Kraft und des Trostes, und beides habe ich gebraucht. Besonders in den ersten Tagen nach meinem Erwachen, als ich zu schwach war, meinen Kopf vom Kissen zu heben, hat sie mich gefüttert und gepflegt. Ich glaube, Sydoni hat mich allein durch ihre Entschlossenheit wieder von den Pforten des Todes zurückgeholt.
    Auch Padraig war ein wahrer Held in dieser Zeit - ein Held, den in ihren Hallen willkommen zu heißen die alten Kelten nicht zögern würden. Padraig war für mich der Fels in der Brandung, der wahre Freund meiner Seele, mein anam cara in Wort und Tat. Es ist Padraigs scharfem Verstand zu verdanken, dass ich noch immer unter den Lebenden weile.
    Denn nachdem ich auf der Straße zusammengebrochen war, hat der kluge Priester sofort erkannt, dass meine Wunden allein daran nicht schuld sein konnten. Er rief Sydoni zu sich, die ihm bestätigte, dass die Fedai'in oft Gift auf ihre Waffen träufelten für den Fall, dass der erste Hieb nicht tödlich war. Er verschwendete keinen Augenblick, sondern wickelte mich in ein Gewand und legte mich gemeinsam mit der Kiste, die das Heilige Kreuz enthielt, in einen Wagen und fuhr mit mir, so schnell es ging, nach Agios Moni. Wenn es die Mönche waren, die mich mit ihrem Wissen geheilt haben, so war es Padraig, der ihnen die Gelegenheit dazu gegeben hat.
    Die arme Sydoni sah sich mit der Frage konfrontiert, entweder mich ins Kloster zu begleiten oder für die Beisetzung ihres Vaters zu sorgen. Doch
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