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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace
Autoren: Anne Perry
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KAPITEL 1
    » A llem Anschein nach hat man die Ärmste in der Wäschekammer aufgefunden«, beantwortete Narraway mürrisch Pitts Frage. Seine Augen waren so dunkel, dass sie im schwachen Licht, das im Inneren der Droschke herrschte, schwarz erschienen. Bevor sein Untergebener etwas darauf sagen konnte, verbesserte er sich: »Ich meine natürlich in einer der Wäschekammern des Buckingham-Palasts. Es handelt sich um einen ganz besonders brutalen Mord.«
    Der Droschkengaul ruckte so heftig an, dass Pitt förmlich in seinen Sitz zurückgeschleudert wurde. »Und Sie sagen, es war eine Prostituierte?«, fragte er ungläubig.
    Der Leiter des Staatsschutzes schwieg eine Weile. Die Hufe des Pferdes hallten auf dem Pflaster, während sich das linke Rad der Droschke bedrohlich dem Randstein des Gehsteigs näherte.
    »Ich vermute, dass es sich bei dem Alarm um einen geschmacklosen Unfug handelt«, setzte Pitt nach, als das Gefährt in die Mall einbog und der Kutscher das Tier zu größerer Eile antrieb.
    »Äußerst geschmacklos«, stimmte ihm Narraway zu. »Trotzdem hätte ich nichts dagegen, wenn es sich so verhielte. Denn ich fürchte, dass die Sache ernst ist. Sollte sich aber herausstellen, dass dieser Cahoon Dunkeld unsere Zeit mit seiner Auffassung von Humor vergeudet, würde ich ihn mit größter Bereitwilligkeit eigenhändig ins Gefängnis stecken – vorzugsweise in eins, wo ihm das Lachen gründlich vergeht.«

    »Es muss ein übler Streich sein«, sagte Pitt. Bei dem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken hinunter. »Unmöglich kann es im Palast einen Mord gegeben haben. Wie sollten Prostituierte überhaupt da hingekommen sein?«
    »Durch die Tür, genau wie gleich wir beide«, gab sein Vorgesetzter zur Antwort. »Seien Sie nicht so naiv. Bestimmt waren die dort deutlich willkommener als wir.«
    Pitt vermied es, Narraway anzusehen, und fragte leicht gekränkt: »Wer ist dieser Cahoon Dunkeld?« Trotz gewisser exzentrischer Verhaltensweisen, die Königin Viktoria nachgesagt wurden, und obwohl ihm bewusst war, dass sie im Volk nicht immer beliebt gewesen war, verehrte er sie sehr. Sie war nicht mehr die Jüngste und entzog sich in ihrer anscheinend endlosen Trauer um den vor langer Zeit verstorbenen Prinzgemahl nicht nur den Freuden des Daseins, sondern vernachlässigte auch ihre Pflichten. Was den Kronprinzen betraf, so war Pitt einige Jahre zuvor aus nächster Nähe Zeuge von dessen Genusssucht und verschwenderischem Lebensstil geworden. Überdies war ihm bekannt, dass er sich mehrere ausgesprochen aufwendige Mätressen hielt. Damals war Pitt als Oberinspektor Leiter der Wache in der Bow Street gewesen, und bei der Verschwörung um den Prinzen, die Pitt das Amt gekostet hatte, war der Thron gefährlich ins Wanken geraten. Danach hatte er eine Anstellung beim Staatsschutz gefunden, wo er für Victor Narraway arbeitete und mit so mancher Form von Verrat, Anarchie und anderen subversiven Handlungsweisen gegen den Staat in Berührung gekommen war.
    Doch die Vorstellung, es könne Prostituierte im Palast der Königin geben, war noch einmal etwas völlig anderes. Der bloße Gedanke widerte ihn an. Es fiel ihm schwer, seinen Abscheu zu verbergen, obwohl er wusste, dass Narraway seinen Idealismus unangebracht und eher belustigend fand.
    »Wer ist dieser Cahoon Dunkeld?«, wiederholte Pitt seine Frage.
    Narraway beugte sich leicht vor. Das Sonnenlicht des frühen Morgens fiel durch das Blätterdach am Rande der Mall und malte bunte Muster auf das Straßenpflaster. Es war keine Wohngegend,
noch herrschte wenig Verkehr, und die wenigen Reiter, die bereits unterwegs sein mochten, trabten wohl eher am Rande des Hyde Parks über den Reitweg Rotten Row.
    »Ein zweifellos fähiger und, wenn er will, ausgesprochen liebenswürdiger Abenteurer, der nach Anerkennung giert und sich Zugang zu den besseren Kreisen verschaffen möchte«, sagte Narraway. »Außerdem gilt er als guter Freund Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen.«
    »Und was tut er in aller Herrgottsfrühe im Palast?«
    »Genau das werden wir festzustellen versuchen«, knurrte Narraway. Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht. Die Spitzen des schmiedeeisernen Gitters waren vergoldet. Am Tor standen Gardisten mit gewaltigen Bärenfellmützen Wache; ihre roten Uniformröcke leuchteten im Sonnenlicht.
    Pitt ließ den Blick über die lange Fassade des Palasts und dann empor zum Dach schweifen und sah erleichtert, dass dort keine Fahne wehte. Die Königin war also nicht
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