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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace
Autoren: Anne Perry
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anwesend. Zugleich war er in unerklärlicher Weise enttäuscht. Sicherlich fände Narraway Pitts Wunsch, noch einmal einen Blick auf Ihre Majestät zu erhaschen, unverständlich. Unwillkürlich beschleunigte sich sein Puls; er setzte sich ein wenig aufrechter hin, hob das Kinn und straffte die Schultern.
    Falls das Narraway aufgefallen war, gestattete er sich nicht das leiseste Lächeln.
    Sie wandten sich nach rechts, dem Lieferanteneingang zu. Die Schildwache am Tor hielt sie an, doch als Narraway seinen Namen nannte, trat der Mann sogleich zurück und salutierte zum Erstaunen des Droschkenkutschers.
    Zehn Minuten später führte ein ziemlich schmächtiger Mann mit straffen Schultern, der sich als Oberdiener Tyndale vorgestellt hatte, Pitt und Narraway eine breite geschwungene Treppe hinauf. Obwohl der Mann nach Pitts Schätzung sicher um die Mitte fünfzig war, bewegte er sich überraschend flink. Auch wenn er die beiden Besucher höflich behandelte, schien er so erschüttert zu sein, dass es ihm schwerfiel, Haltung zu bewahren.

    Zu jeder anderen Zeit hätte die Vorstellung, sich im Buckingham-Palast zu befinden, Pitt begeistert, jetzt aber überschattete die Aufgabe, die vor ihnen lag, jeden anderen Gedanken. Unter diesen Umständen waren aller Prunk und alle Großartigkeit bedeutungslos.
    Ob es sich wirklich um einen hirnverbrannten Streich handelte? Tyndales bleiches Gesicht sprach dagegen. Zum ersten Mal, seit Narraway in der Droschke seine sonderbare Aussage gemacht hatte, hielt Pitt es für möglich, dass es mehr war als ein übler Scherz.
    Oben angekommen, klopfte Tyndale an eine Tür zu ihrer Linken. Der Mann, der ihnen öffnete, hatte ein tief gebräuntes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht. Er war weit größer als Tyndale, hatte breite Schultern und wirkte ungemein dynamisch. Nicht einmal die Stirnglatze war seinem ausgesprochen guten Aussehen abträglich. Da seine Brauen pechschwarz waren, durfte man annehmen, dass seine grauen Haare früher von der gleichen Farbe gewesen waren.
    »Die Herren vom Staatsschutz, Mr Dunkeld«, sagte der Oberdiener ruhig.
    »Gut«, gab der Angesprochene zurück. »Sie können gehen. Sorgen Sie aber dafür, dass man uns nicht stört, oder besser noch, dass niemand von der Dienerschaft heraufkommt.« Er wandte sich Narraway zu, als sei Tyndale bereits gegangen. »Narraway?«, fragte er.
    Dieser nickte bestätigend und stellte Pitt vor.
    »Cahoon Dunkeld«, sagte der Breitschultrige und schüttelte Narraway flüchtig die Hand. Pitt bedachte er lediglich mit einem angedeuteten Lächeln. Mit den Worten »Treten Sie ein und schließen Sie die Tür« wandte er sich um und ging voraus in ein mit Möbeln vollgestelltes Zimmer, dessen breite, hohe Fenster auf den Park gingen. Die Kronen der Bäume in der Ferne sahen im Morgenlicht aus wie reglose grüne Wolken.
    Dunkeld, der mitten im Zimmer stehen geblieben war, sprach ausschließlich zu Narraway. »Es ist zu einem entsetzlichen Zwischenfall
gekommen. Noch nie im Leben habe ich etwas so … Bestialisches gesehen. Wie das ausgerechnet hier geschehen konnte, entzieht sich meinem Verständnis.«
    »Berichten Sie genau, was geschehen ist, Mr Dunkeld«, sagte Narraway. »Von Anfang an.«
    Dunkeld zuckte zusammen, als bereite ihm schon der Gedanke daran Unbehagen. »Von Anfang an? Ich bin früh wach geworden …« Demonstrativ nahm Narraway in einem der mit bordeauxfarbenem Brokat bezogenen Polstersessel Platz, ohne von Dunkeld dazu aufgefordert worden zu sein. Er schlug die Beine übereinander, was nicht ganz so elegant aussah, wie er es wohl beabsichtigt hatte, und wiederholte: »Von Anfang an, Mr Dunkeld. Wer sind Sie, und was tun Sie um diese frühe Stunde hier im Palast?«
    »Zum Henker … «, brach es aus Dunkeld heraus. Dann setzte er sich ebenfalls und begann zu erklären. Es kostete ihn sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. Er erweckte den Eindruck eines Menschen, der der Laune eines ihm geistig Unterlegenen nachgab, und schien nicht begriffen zu haben, worauf Narraway hinauswollte. Nervös trommelten die Finger seiner Rechten auf der Sessellehne.
    »Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Wales, interessiert sich sehr für ein technisches Projekt, das meine Firma und einige meiner Kollegen vorantreiben wollen«, begann er. »Vier von uns halten sich im Augenblick hier auf, um über die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu sprechen – die Einzelheiten, wenn Sie so wollen. Wir sind in Begleitung unserer Ehefrauen, damit
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