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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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    Prolog
    Löbenicht (Königsberg)
9 . Mai 1438
    E s war da! Erschöpft fiel Gunda auf das Bett zurück. Nach dem ersten kraftvollen Schrei des Neugeborenen überrollte sie ein nie zuvor empfundenes Gefühl von Zärtlichkeit. Sie streckte die Arme aus, um das schleimverschmierte Bündel aus den Händen der Hebamme entgegenzunehmen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Was, wenn sich beim Anblick des Kindes die Alpträume der letzten Monate bewahrheiteten? Eine neuerliche Schmerzwelle erfasste ihren Leib. Jäh bäumte sie sich auf und stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Im nächsten Moment krümmte es sie nach vorn. Sie meinte, von innen heraus zu zerreißen.
    »Heilige Margareta, steh uns bei!« Hastig übergab die Hebamme Gerda Selege das Kind an Gundas Mutter Lore und eilte zurück zum Bett. Aufmerksam glitt ihr Blick über Gundas weiterhin stark aufgedunsenen Leib. Wesentlich unsanfter als beim ersten Mal zerrte sie die Achtzehnjährige auf den Gebärstuhl zurück, tastete sie ab, schüttelte ungläubig den Kopf. »Es ist noch nicht vorbei. Da kommt noch eins.«
    Gunda begriff nicht. Warum fand dieser Alptraum kein Ende, seit so vielen Monaten nicht? Verwirrt strich sie sich das schweißnasse Haar aus der Stirn, schloss die Lider. Das Kind war da, das reichte. Jetzt wollte sie sich ausruhen, bevor sie der Wahrheit ins Auge sah.
    Von neuem erfüllte ein eigenartiges Ziehen ihren Unterleib. Bald schon ging es wieder in jene kaum auszuhaltende Pein über, die binnen weniger Atemzüge den gesamten Körper erfasste. Ihr schwanden die Sinne. Eine schallende Maulschelle brachte sie ins Bewusstsein zurück.
    »Hiergeblieben!«, knurrte Gerda. »Was du dir eingebrockt hast, badest du gefälligst auch aus.«
    Sie setzte ihr einen Becher an die Lippen, schob mit den Fingerkuppen einige Körner zwischen Gundas Zähnen hindurch und nötigte sie anschließend zum Trinken. Der Sud schmeckte mindestens so bitter wie die Körner. Angeekelt verzog Gunda das Gesicht. Gerda zeigte kein Erbarmen, kippte ihr den Rest des widerwärtigen Gebräus in den Mund. Kaum hatte Gunda den letzten Schluck hinuntergewürgt, machte sich die Hebamme bereits an ihrem Unterleib zu schaffen. Ein seifiger, zugleich würziger Geruch nach Koriander durchzog den Raum. Voller Entsetzen spürte Gunda, wie Gerda mit dem Kraut an ihren Schamlippen entlangrieb, mit den Fingern den Muttermund bearbeitete. Sie begann, sich zu wehren, presste die Schenkel zusammen. Die erfahrene Geburtshelferin war stärker als sie und spreizte ihr energisch die Beine auseinander. Gunda erstarrte.
    Nicht!, wollte sie rufen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Ein dunkelbärtiges Gesicht schob sich ihr vor Augen. Sie meinte, würgen zu müssen, so deutlich hatte sie den sauren Atem ihres Peinigers in der Nase, spürte das garstige Reiben seines Lederwamses auf der Haut, hörte sein widerliches Keuchen in den Ohren. Wie damals fuhr ihr auch jetzt wieder ein stechender Schmerz von unten her in den Leib. Die Qual nahm kein Ende.
Heilige Mutter Gottes,
flehte sie,
hab Erbarmen mit mir armer Sünderin!
Von neuem verlor sie die Besinnung. Dieses Mal klatschte Gerda ihr einen Schwall eiskalten Wassers ins Gesicht. »So leicht machst du dich nicht davon!«
    Wieder erfasste die Woge Gundas Leib. Ein zweites Mal wollte sie sich vor der Hebamme keine Blöße geben. Sie biss sich auf die Lippen, drückte und presste, wie Gerda sie geheißen hatte. Ihre Beine zitterten. Der Rand des hölzernen Gebärstuhls bohrte sich in ihr Gesäß. Feucht klebte ihr das Leinenhemd auf der Brust. Sie fror und schwitzte gleichzeitig. Die Augen zu schließen, wagte sie nicht mehr. Die bärtige Fratze sollte nicht zurückkehren.
    Eine halbe Ewigkeit schien vergangen, bis das Auf und Ab der Schmerzen nachließ. Wie ein Pfropfen aus dem Weinschlauch entlud sich endlich die schwere Last aus Gundas Bauch. Nass rann es ihr die Innenseiten der Schenkel hinab. Ein letzter, schmerzvoller Schub folgte, eine blutige Masse klatschte zu Boden. Dann war es vorbei.
    Kaum nahm Gunda den empörten Aufschrei wahr, mit dem auch das zweite Kind seinen Schreck über die Ankunft in der kalten Welt zum Besten gab. Das zärtliche Gefühl in ihrem Busen blieb allerdings aus. Ein wenig zu eilig übergab die Hebamme das Kleine der wartenden Magd. Lore half ihr, es hinter dem Vorhang zu baden und zu wickeln. Das Nächste, was Gunda wahrnahm, war, wie Lore ihr sanft über den Kopf strich. Aufmunternd lächelte sie, wiegte ein
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