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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen
Autoren: Stephen Lawhead
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mein Freund?«
    »Ich bringe Torf-Einar jeden Abend sein Essen«, antwortete ich.
    »Und er hat dir diese Geschichten erzählt?«
    »Ja, einige von ihnen.«
    Der Priester hob die Augenbrauen und schürzte die Lippen. »Nun, vielleicht weiß er wirklich ein wenig darüber.«
    Irgendetwas an Emlyns Tonfall machte mich misstrauisch. »Aber du glaubst ihm nicht«, bemerkte ich.
    »Es ist nicht an mir, dir darauf zu antworten«, erwiderte der Abt ausweichend. Nun hatte ich niemals Grund gehabt, an den Worten des guten Priesters zu zweifeln - ebenso wenig wie sonst irgendjemand -, doch seine Antwort erschien mir merkwürdig, und ich vermutete, er wusste weit mehr, als er mir zu sagen bereit war.
    »Wer dann sollte es mir erklären?«, erkundigte ich mich in sanftem Tonfall. »Mein Vater vielleicht?«
    Erneut legte Emlyn die Stirn in Falten. »Manchmal«, antwortete er bedächtig, »ist es besser, die Toten die Toten begraben zu lassen. Ich glaube, dein Vater wird es dir nicht danken, wenn du deine Nase zu tief ins Wespennest steckst.«
    »Das ist wohl wahr«, gestand ich widerwillig ein. »Ich habe ihn schon gefragt.«
    »Was hat er gesagt?«, fragte der Kirchenmann.
    »Er sagte, das seien alles nur Geschichten«, erklärte ich ihm. »Geschichten, wie sie Reisende in der Taverne erzählen - Lügengeschichten.«
    Ein weiteres Mal runzelte der Abt die Stirn, schwieg aber. Das vergrößerte jedoch nur meine Entschlossenheit, denn dass an der Geschichte mehr dran war, als man mir sagen wollte, wurde immer offensichtlicher. Allerdings bekam ich an diesem Tag nichts mehr aus dem guten Abt heraus.
    Tatsächlich wäre ich vermutlich nie ins Herz des Mysteriums vorgestoßen, hätte Torf sein Leben ausgehaucht, bevor er vom Schwarzen Stamm gesprochen hatte.
    In jener Nacht versagten ihm die Kräfte. Das Fieber brach durch, und er fiel in einen todesähnlichen Schlaf. Murdo rief ein paar Mönche aus der Abtei des heiligen Andreas herbei, um für den alten Mann zu tun, was sie tun konnten; auch Emlyn eilte herbei, zusammen mit einem Mönch namens Padraig.
    Wie es der Zufall will, ist Padraig Emlyns Neffe - der Sohn seiner einzigen Schwester - ein nachdenklicher, gutwilliger Mönch, und das trotz der Tatsache, dass er in Eire aufgewachsen ist. Unser guter Abt hat natürlich auch eigene Kinder: zwei Töchter. Eine von ihnen lebt mit der Sippe ihres Mannes südlich von Caithness in Inbhir Ness. Die andere, Niniane, ist selbst Priesterin und so sanft und weise wie ihr Vater. Allerdings hat sie das Pech, mit meinem Bruder Eirik verheiratet zu sein.
    Nun denn, es ist weithin bekannt, dass die Cele De in der Heilkunst außergewöhnlich gut bewandert sind. Sie sind Meister im Zubereiten von Tränken von unübertroffener Kraft und Wirksamkeit. Bruder Padraig machte sich am Herd an die Arbeit, und kurze Zeit später hatte er ein Elixier gebraut, das er dem Sterbenden mit einem Löffel verabreichte. Das wiederholte er in regelmäßigen Abständen die ganze Nacht hindurch, und gegen Morgen - o Wunder über Wunder - war Torf-Einar wieder erwacht.
    Allerdings war er noch immer sehr schwach, und es war nicht zu übersehen, dass er sich nie wieder erholen würde; doch er fühlte sich sichtlich wohler, und das Feuer des Fiebers in seinen Augen war verschwunden. Er schien wieder ein wenig in Frieden mit sich selbst zu sein, als ich ihn grüßte. Ich fragte ihn, ob ich ihm irgendetwas bringen könne.
    »Nein«, antwortete er mit hohler, rauer Stimme, »es sei denn, du bringst mir ein Stück des Schwarzen Stamms, um meine Beichte abzulegen. Etwas anderes würde mir ohnehin nicht helfen.«
    »Was ist ein Schwarzer Stamm?«, erkundigte ich mich. »Sollte es so etwas in der Nähe geben, bin ich sicher, dass mein Vater es dir besorgen kann.«
    Das veranlasste Torf, die spröden Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. Er schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass er hier etwas davon finden wird«, krächzte er. »Es gibt auf der ganzen Welt nur vier Stücke davon, und zwei davon sind für immer verloren.«
    Ein solch seltenes Ding faszinierte mich. »Aber was ist das, und was hat es mit deiner Beichte zu tun?«
    »Hast du noch nie vom Wahren Kreuz gehört?« Er betrachtete mich mit trüben Augen.
    »Natürlich habe ich schon davon gehört«, antwortete ich. »Jeder hat davon gehört.«
    »Es ist ein und dasselbe, Junge, ein und dasselbe. Der Schwarze Stamm ist nur ein anderer Name für das Wahre Kreuz.«
    Das ergab keinen Sinn für mich. »Wenn das so ist,
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