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Don Fernando erbt Amerika

Titel: Don Fernando erbt Amerika
Autoren: Ewald Arenz
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    »… und wenn wir erst bedenken, meine Damen und Herren, liebe Russen«, sagte der Bürgermeister soeben zu der russischen Delegation, machte eine kleine Pause für den Dolmetscher und sprach weiter: »dass aus Nürnberg seit jeher Waren in alle Welt gehen; nicht umsonst heißt es: ›Nürnberger Tand geht in alle Land‹, wie wir unten am Hauptmarkt auf der Apotheke sehr schön gemalt lesen können; wenn wir das erst bedenken …«
    Er verstrickte sich in seiner eigenen Diktion und stockte.
    Der Dolmetscher grinste verstohlen. Dieser Spruch mit dem Tand hatte ihm schwer zu schaffen gemacht.
    »Hau mi nauf«, flüsterte der Bürgermeister und suchte in seinen Papieren. Die russische Delegation gähnte. Sie hatte am Abend zuvor mit Vertretern der Nürnberger Industrie- und Handelskammer essen müssen. Und weil immer alle glauben, der Russe an sich schütte jeden Abend Unmengen an Wodka in sich hinein, hatten Igor Jenewgij, Pawel Chruschtschow (er konnte nichts für seinen Namen und war die ständigen Anspielungen schon seit Jahren leid) und Pjeta Weiß eben Unmengen an Wodka in sich hineinschütten müssen. Nun stellten alle drei bedauernd fest, dass sie offensichtlich keine Russen an sich waren, denn sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Bürgermeister hingegen war auf der Höhe seiner Leistungskraft und suchte energisch in seinen Papieren nach der Klimax – seiner Rede, versteht sich.
    Kathrin Gottsched hingegen stand an eine Säule gelehnt und hatte ihren Block dankbar sinken lassen. Sie arbeitete mittlerweile seit über drei Jahren bei der Zeitung und musste immer noch diese miesen Jobs machen, weil alle ihre Kollegen sich vor dem Bürgermeister drückten.Ihre körperliche Verfassung bewegte sich in etwa auf dem gleichen Niveau wie die der russischen Delegation. Sie hatte zwar nicht getrunken, aber den halben Abend mit ihrem Freund – jetzt Exfreund – Christoph diskutiert. Genauer gesagt, hatte sie diskutiert und er getrunken. Kathrin mochte Christoph, das stand außer Frage. Was sie definitiv nicht mochte, war seine Art zu leben. Christoph hatte vor einem halben Jahr zum Doktor der Physik promoviert. Selbstverständlich hatte er keinen Job bekommen – die Stellenaussichten für Physiker entsprachen im Augenblick denen von Fünfjährigen auf die Kanzlerschaft. Christoph war nicht unglücklich darüber, hatte ein schäbiges Büro gemietet und an dessen Tür ein Schild gehängt, auf dem »Braintrust – Problemlösungen jeder Art« stand, und behauptete seitdem, sein Beruf sei »Ideenhändler«. Das Problem war nur, dass technische Probleme, die ein arbeitsloser Physiker lösen kann, meistens von den Physikern gelöst werden, die Arbeit haben. Aber das ignorierte Christoph und behauptete, seine Lösungen seien kosmischer Art. Er fand, dass die meisten Lösungen zehn weitere Schwierigkeiten nach sich zögen, und verwies auf die Erfindung von Sex als Lösung des Fortpflanzungsproblems, auf die Atomkraft als Lösung des Energieproblems und generell auf die Einführung des öffentlichen Nahverkehrs. Wenn er nur einmal einen Auftrag bekäme, würde er Kathrin zeigen, dass seine Problemlösungen echte Lösungen wären. Danach wäre alles gut. Wenn er nur ein Problem bekommen würde.
    Na gut, dachte Kathrin, das hatte er jetzt. Gestern Abend hatten sie sich getrennt. Und dann war sie nach Hause gegangen, hatte sich Tee gemacht und blöderweise auch noch geheult. Und natürlich hatte sie nicht schlafen können und dann musste sie auch schon wieder zu diesem Termin. Ein absolut mieser Anfang eines miesen Tages. Sie fühlte sich zerschlagen und widmete sich der Pflege ihrer gut genährten Abneigung gegen den Bürgermeister, dessen Reden sie seit Jahren mitstenografierte, nur um in der Redaktion resigniert festzustellen, dass sich ihre Notizen wie ein Ei dem anderen glichen und sich ihreArtikel in den Schubladen stapelten, weil sie sowieso nie gedruckt wurden. Gedruckt wurden die Fotos. Eigentlich hätte sie zu Hause bleiben können. ›Warum erschießen ihn eigentlich die Russen nicht einfach?‹, überlegte sie. ›Es wäre ganz leicht. Da drüben, der Lange mit dem Mantel, er zieht seine Kalaschnikow und – bamm bamm bamm bamm – legt ihn einfach um. Und ich bin mit meinem Bericht auf der Titelseite.‹
    »Hau mi nauf!«, sagte der Bürgermeister wieder, diesmal jedoch lauter und überraschter. Denn die Doppeltüren des Saales waren soeben aufgesprengt worden. Ein Mann mit strengem Kinnbart
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