Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
Erstes Kapitel
    Es waren drei Mörder: ein Auftraggeber, ein Organisator und ein Vollstrecker.
    Am besten ging es in dieser Nacht dem Auftraggeber. Er hatte eine Entscheidung getroffen und die nötigen Anweisungen erteilt, nun wartete er darauf, dass ihm die Resultate gemeldet wurden. Den Entschluss selbst hatte er natürlich nicht leichten Herzens gefällt, sondern erst nach langem Überlegen und Abwägen, nach zahlreichen Versuchen, die Sache anders zu lösen, mit sanfteren Mitteln – mit Geld, durch Überreden, durch Drohungen. Der Auftraggeber hatte es nicht darauf angelegt, zum Mörder zu werden, aber seinen Status riskieren wollte er noch weniger. Seine jetzige Stellung verdankte der Auftraggeber einer kontinuierlichen Komsomol- und Parteikarriere, nun, mit zweiundvierzig, war er der perfekte Chef, das heißt, er musste Ideen entwickeln, mit denen er sich vor seinen Vorgesetzten hervortun konnte, und den richtigen Mann auswählen, der die Umsetzung der Ideen organisierte und den man im Fall des Falles verantwortlich machen konnte, wenn etwas schief ging. Wie alle Chefs dieser Art machte der Auftraggeber nichts selbst. Wenn er seine Anweisungen erteilt hatte, atmete er erleichtert auf, ohne die geringste Sorge um einen möglichen Misserfolg, denn er war felsenfest überzeugt: Was er befahl, wurde erledigt. Gehorsam beruht auf Angst. Und den Vollstreckern Angst einzuflößen, darauf verstand er sich. Auch diesmal hatte er, nachdem die Entscheidung getroffen war, alle Sorgen dem Organisator überlassen, und schlief zum ersten Mal seit einem halben Jahr wieder ruhig.
    Der Organisator konnte nicht mehr schlafen. Seit jenem Tag vor zwei Wochen, als der Auftraggeber sich plötzlich gemeldet und ein Treffen verlangt hatte. Der Organisator war inzwischen höher aufgerückt als sein alter Bekannter und dachte missmutig, dieser wolle ihn bestimmt um etwas bitten und dabei ihre früheren Beziehungen als sanftes Druckmittel einsetzen. Aber es war weit schlimmer. Dem Auftraggeber drohte ein Skandal, in dessen Strudel, sollte die Sache gründlich aufgerührt werden, auch der Organisator geraten könnte – das hing ganz davon ab, wie tief man graben würde. Sollte sein Name auftauchen, und sei es nur andeutungsweise, würden die Schakale aus Kowaljows Gruppe ihn mit Vergnügen und zur Freude der Zeitungsleute zerfleischen. Die Vergangenheit des Organisators war, offen gesagt, ziemlich anrüchig. Bisher war es nur noch niemandem eingefallen, sie näher zu beleuchten. Doch wenn nun jemand damit anfinge, bedeutete das sein Ende.
    Der Organisator hatte einen Vollstrecker ausgesucht, ihm alle Informationen übermittelt, die er vom Auftraggeber bekommen hatte, und ihm eine Frist bis Montag gesetzt. Heute war Freitag, nein, inzwischen schon Samstag. Bisher hatte er noch nicht angerufen. Der Organisator schlief die vierte Nacht nicht, erzählte seiner Frau etwas von einem angeblich dringenden Referat für den Apparat des Präsidenten, saß in der Küche und wartete voller Angst. Worauf? Auf die Mitteilung, dass die Gefahr beseitigt und der Skandal verhindert worden sei? Oder dass es nicht geklappt habe und er einen anderen Ausweg suchen müsse? Doch egal, wie die Nachricht ausfiel, für ihn bedeutete sie ohnehin lediglich einen Aufschub: Entweder, seine politischen Gegner würden ihn stürzen, oder er landete wegen Beihilfe zum Mord im Gefängnis. Je nachdem, wer schneller war. Der Vollstrecker war natürlich ein zuverlässiger Bursche, mit verlässlichen Empfehlungen. Nur von ihm hing nun ab, ob der Auftraggeber und der Organisator respektable Amtspersonen blieben oder zu gewöhnlichen Verbrechern wurden. Alles lag in seiner Hand. Alles.
    Der Vollstrecker schlief ebenfalls nicht, aber nicht vor Aufregung oder Unruhe. Er tat seine Arbeit. Er wartete auf das Opfer.
    Der Vollstrecker wusste, dass die Person, die er beseitigen sollte, auf einer Dienstreise war und erst am Montag wieder zur Arbeit gehen würde. Sie würde also, hatte er überlegt, am Donnerstag zurückkommen und am Freitag blaumachen oder erst am Freitag oder Samstag wieder da sein. Für alle Fälle hatte der Vollstrecker bereits am Donnerstag seinen Posten in der Wohnung des Opfers bezogen. Er war sich sicher, dass niemand sonst dort auftauchen würde. Nun saß er schon sechsunddreißig Stunden hier, in Chirurgenhandschuhen und die Turnschuhe mit Plastiktüten umwickelt. Der Vollstrecker war ein echter Jäger, und das zermürbende Warten machte ihn nicht nervös. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher